Jubel des Spiels: »Kein Tor jetzt, Leute«, brüllte die deutsche Bank in der WM-Halle von Gizeh. Die Ungarn waren gerade im Angriff, sie führten 15:13 und die letzten Sekunden der ersten Hälfte liefen. Es war ein Moment, der im Handball sehr entscheidend sein kann: Entweder steht es gleich 16:13 und der Gegner geht mit komfortabler Führung in die Pause. Oder der Ball wird abgewehrt (»Kein Tor jetzt«) und – mit etwas Glück – gelingt im Gegenzug sogar der Anschlusstreffer. Es kam so: Die Ungarn setzten ihren Angriff neben das Tor und kurz danach traf Fabian Böhm für die deutschen Handballer zum Anschluss. Ein echter Mutmacher. Die DHB-Auswahl jubelte, als hätte sie dieses Spiel gewonnen.
Szene des Spiels: Einige Zeit später sah man dann auch Handballer tanzen, doch das waren die ungarischen. Vier Sekunden vor Ende der Partie bei der Weltmeisterschaft hatte sich Meta Lekai in Position gebracht, Abwehrchef Johannes Golla versuchte noch, ihn zu packen, Sebastian Firnhaber und Paul Drux standen zu weit weg – und die Lücke war wie so oft an diesem Abend viel zu groß. Lekai traf, und die Ungarn hatten Grund zu ausgelassener Freude.
Ergebnis des Spiels: Viel wurde bei der umstrittenen Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten über Corona gesprochen. Aber auch darüber, dass sich die deutsche Mannschaft nach einigen WM-Absagen in der Abwehr erst noch finden muss. Ungarn nutzte diese Schwäche, siegte 29:28 (15:14) und zieht mit vier Punkten in die Hauptrunde der Endrunde. Die DHB-Auswahl nimmt zwei Punkte und die Erkenntnis mit, dass die neue Abwehr auf diesem Niveau an ihre Grenzen gerät. »Wir müssen in der Hauptrunde einen deutlich besseren Innenblock hinbekommen«, lautete das Fazit von DHB-Coach Alfred Gíslason. Die Aussichten auf das Viertelfinale, sie haben sich mit diesem Abend verschlechtert.
Corona-Update: Wegen mehrerer Corona-Fälle bei den Handballern von Kap Verde hatte das Spiel gegen die DHB-Auswahl am Sonntag nicht stattfinden können. Zwei Tage zuvor allerdings, am vergangenen Freitag, hatte das Team aus Afrika noch gegen Ungarn gespielt – und auch zu diesem Zeitpunkt war bereits ein erstes Ausbruchsgeschehen bei Kap Verde bekannt. Es bestand die Möglichkeit, dass das Virus in jenem Spiel weitergetragen worden ist. Doch inzwischen sind einige Tage vergangen, und laut IHF hat es bei der ungarischen Auswahl bisher keinen positiven Fall bei dieser WM gegeben.
Nimmermüde Ungarn: Die Ungarn hatten sich am Sonntag noch beim 44:18 über Uruguay ausgetobt, aber fehlende Frische konnte man bei ihnen nicht feststellen. Sie hatten sich eher in Schwung gebracht, warfen sich in jeden Zweikampf und mussten wegen Zeitstrafen gerade in der ersten Hälfte mehrere Minuten in Unterzahl überstehen. Ungarn gelang das ziemlich gut, der starke Roland Mikler im Tor (zehn Paraden) und vorne Kreisläufer Bence Bánhidi (acht Tore) waren die prägenden Figuren. Besonders Kreisläufer Bánhidi offenbarte die deutschen Schwächen.
Angezählt: Uwe Gensheimer hatte seine Chancen im ersten Spiel gegen Uruguay unzureichend genutzt, Gislason hatte ihn sogar öffentlich kritisiert und nun zunächst auf die Bank gesetzt. Gensheimer ist eigentlich eine sichere Bank: 189 Länderspiele, 920 Tore, er ist der Kapitän der Auswahl. Aber, so befand Gíslason im ZDF-Interview vor Anwurf, dass sich der zweite Linksaußen im Kader inzwischen auf »Augenhöhe« mit dem 34-Jährigen befindet: Marcel Schiller, 29, von Frisch auf Göppingen, der vor allem beim Siebenmeter ein Killer ist. Er war einer der treffsichersten an diesem Abend. Seine Teamkollegen, besonders Timo Kastening (zwei Tore bei fünf Würfen) und Kai Häfner (drei aus sieben), ließen dagegen viele Chancen ungenutzt.
Der Neue redet los: Das Thema Auszeiten war in der DHB-Auswahl zuletzt ein leidiges. Während der TV-Übertragung kann jedes Wort mitgehört werden, und bei Gíslasons Vorgänger Christian Prokop hatte man jedes Wort auf die Goldwaage gelegt: Er sei in der Ansprache zu pädagogisch, zu kompliziert, warfen ihm ehemalige deutsche Handball-Stars immer wieder vor. Als Prokop bei der EM 2020 während einer Auszeit der Vorname von Timo Kastening nicht einfiel, bekam das ein Millionenpublikum mit, und Prokop wurde diese unangenehme Note nicht mehr los. Der Isländer Gíslason wirkt anders, nicht innovativer, einfach weniger verkopft. Zu manchen sagt er bloß: »Ey, du da«, und: »Wir müssen aggressiver spielen.« Leichter gesagt als getan.
Ausblick: Das nächste und erste von drei Spielen in der Hauptrunde ist bereits wegweisend für die deutsche Mannschaft: Am Donnerstag wartet der Europameister aus Spanien. Die spanische Auswahl hat bei dieser Endrunde noch nicht überzeugt, der Sieg gegen Polen fiel knapp aus, gegen Brasilien gab es nur ein Remis. Aber die Spanier, das weiß man auch, sind routiniert, sie spielen seit Jahren zusammen, sind überragend am Kreis und ihnen stehen bei dieser Endrunde die großen Stars zur Verfügung. Auf die deutsche Abwehr wartet eine noch größere Aufgabe als Ungarn.
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