Die Gruppe der Angststörungen gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, rund ein Viertel der Deutschen leidet irgendwann im Leben an einer ihrer Formen. Das kann Platzangst sein, eine Phobie vor Tieren, Zahnarzt oder extreme Schüchternheit. Bei Sörensen (der Vorname bleibt ein Mysterium) kommt mehreres zusammen: Er kann nicht gut mit Leuten, laute Geräusche erträgt er kaum, enge oder dunkle Räume sind ihm zuwider, und generell befürchtet er immer das Schlimmste.
Und leider bewahrheitet sich das, ausgerechnet als er gerade den Schritt zu einem gesünderen Leben geschafft hat. Denn Sörensen ist Kriminalbeamter und dass das für einen angstgeplagten Menschen besondere Probleme mit sich bringt, liegt auf der Hand, zumal in einer Großstadt wie Hamburg. Deshalb hat Sörensen beschlossen, an einen Ort zu gehen, wo höchstens mal eine Katze oder ein Kuchen verlorengeht – dem nordfriesischen Dorf Katenbüll. Er ist noch keine fünf Minuten auf der Wache, da kommt der Anruf: Leiche im Kuhstall, erschossen, Katenbüll braucht einen neuen Bürgermeister. Auf dem Hof wartet eine verweinte Ehefrau (Anne Ratte-Polle) und der zwölfjährige Sohn Jan (Claude Heinrich) unter Schock, mit dem Kommissar Sörensen nach einem stammeligen Verhör noch am besten klarkommt. Es wird nicht bei dieser einen Leiche bleiben und auch nicht bei dem humoristischen Unterton, der Sörensens Angst irgendwie erträglich macht. Denn in Katenbüll tun sich Abgründe auf, die Sörensen nicht kennt, die dem gemeinen Krimi-Zuschauer aber geläufig sind.
Zuerst ein Hörspiel, dann ein Roman
„Sörensen hat Angst“ war zuerst ein Hörspiel, dann ein Roman, bevor Sven Stricker ein Drehbuch daraus machte, das Bjarne Mädel mit sich selbst in der Hauptrolle als sein Regiedebüt verfilmt hat. Eine ungewöhnliche Genese, die dem Film zugutegekommen ist. Mädel und Stricker sind seit vielen Jahren befreundet, der Schauspieler verhalf dem Autor zur Veröffentlichung seines ersten Buchs, als Dankeschön schrieb der seine nächste Figur schon mit Mädel im Kopf, der ihr im Hörspiel dann auch seine Stimme gab.
Mädel war also mit Sörensen vertraut und hatte die schauspielerische Darstellung schon angelegt – das Stottrige, Unsichere, Brodelnde, das auch seine Figuren in „Der Tatortreiniger“, „Mord mit Aussicht“ oder „Stromberg“ auszeichnet. Neben ihm spielt Katrin Wichmann, die bei „Stromberg“ und dem „Tatortreiniger“ mit Mädel gearbeitet hat, die bodenständige und mutige Polizeipartnerin Jenni. Letzterer NDR-Serie gab Kameramann Kristian Leschner ihren Look, auch ihn konnte Mädel gewinnen.
Durch Leschners Linse wird Katebüll zum graugrünen Zentrum von Unwohlsein und Trübsinn, er lässt die Zuschauer aus ungewohnten Perspektiven auf das Geschehen schauen und schärft den Blick für Feinheiten, anstatt die Handlung mit funktionalen Ortseinführungen aus der Totalen und Dialogen in Schuss-Gegenschuss abzufilmen. Wenn in Sörensen die Angst hochsteigt, kriecht die Kamera fast in ihn hinein, isoliert ihn von der Außenwelt mit all ihren fremden Köpfen, in denen gerade ganz andere Programme ablaufen. Diesen Effekt unterstützt die Musik von Volker Bertelmann („The Old Guard“, „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“), der die psychischen Leiden des Kommissars mit experimentellen Klang- und Geräuschteppichen vertont und verdichtet.
„Sörensen hat Angst“ ist ein überzeugendes Debüt, das sich in der mannigfaltigen öffentlich-rechtlichen Krimi-Konkurrenz behaupten kann, schon allein weil es seine Figuren und vor allem sein Thema ernst nimmt. Dass zwischendurch noch der Humor zündet, ganz ohne der Geschmackswahrung gefährlich zu werden, ist eine Qualität, die sich viele Krimimacher bei Mädel und Stricker abschauen sollten. Der zweite Hörspielfall von Kommissar Sörensen ist bereits erschienen, der dritte gerade abgeschlossen. Dass der NDR eine weitere Verfilmung bestellen wird, steht zu erwarten. Es wäre sonst auch schade um den düsteren Anfangszauber, der Katenbüll innewohnt. Wissen, wie Sörensen mit Vornamen heißt, wollen wir dann doch.
Sörensen hat Angst, 20.15 Uhr, ARD
Artikel von & Weiterlesen ( Wo die Furcht ist, da geht es lang - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/3iA7DuT
Unterhaltung
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Wo die Furcht ist, da geht es lang - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Post a Comment