Larry King wollte ewig leben. »Das Einzige, wovor ich Angst habe, ist das Sterben«, sagte er schon 1992, da war er gerade mal 58. Kein Wunder, dass er ein Fan der Kryonik war, der kontroversen Konservierung von Leichen: Nach seinem Tod wollte er sich einfrieren lassen, auf »dass sie mich zurückholen«, eines Tages, in einer anderen, besseren Zukunft.
Der legendäre CNN-Talkmaster starb am Samstag im Alter von 87, doch seine ganz eigene Art des Interviews war da längst tot. Jahrzehntelang amtierte King als Amerikas Weichzeichner: Der Mann, mit dem jeder über alles plaudern wollte, weil er mit jedem über alles plaudern konnte – Präsidenten und Rapper, Philosophen und Hollywoodstars.
Gerade deshalb war King lange der erfolgreichste, aber zugleich auch am meisten verspottete Interviewer der Welt. Obwohl er zuletzt mindestens so berühmt war wie seine Gäste, trat er keinem zu nahe. Seine Fragen schienen oft schockierend naiv, doch entlockten seinem Gegenüber Antworten, nach denen investigative Journalisten vergeblich fischten. Die Profis rümpften die Nase, wiewohl mehr aus professionellem Neid.
King schmeichelte allen gleich, Königen wie Killern. Heute, da Infotainment zur Autokraten-Propaganda mutiert ist und TV-Reality zur politischen Horrorshow, wäre das undenkbar, untragbar. King war erst ein Pionier seiner Zeit – und dann ihr Relikt.
Es war die Ära der großen Namen und noch größeren Skandale. Etwa Ex-Footballstar O.J. Simpson, der 1993 wegen Mordes verhaftet wurde. Der Sensationsprozess, eine meiner ersten Storys als US-Korrespondent, war ein Crashkurs darin, wie sich all das, was wir Deutsche gerne in »E« und »U« dividieren, hier immer schon wild vermischte: Politik mit Showbusiness, Oper mit Seifenoper.
»Wie geht's?«
Mittendrin: Larry King, der kauzige Zeremonienmeister. Während des Simpson-Prozesses kauerte er tagsüber mit im Gerichtssaal, anschließend eilten die Akteure oft direkt von dort zur Beichte in sein Studio am Sunset Boulevard. Und wem gab Simpson am Tag nach dem – bestenfalls problematischen – Freispruch sein erstes Interview? King, der ihn jovial anflachste: »Wie geht's?«
So redete er mit allen, ob Liz Taylor oder Mahmud Ahmadinedschad. Es trieb einen zur Weißglut. Doch wer wissen wollte, was wirklich los war in Hollywood und im Weißen Haus, musste abends »Larry King Live« einschalten. Dort erfuhr man mehr über die Geheimnisse der Geheimniskrämer als in der Bleiwüste des »New Yorkers«.
»Der größte Rundfunkjournalist aller Zeiten«
Seine CNN-Talkshow, sie lief von 1985 bis 2010, war die populärste Serie in der Geschichte des Senders, mit im Schnitt 1,5 Millionen Zuschauern, meist aber viel mehr. CNN-Gründer Ted Turner engagierte ihn persönlich. Die beiden »größten Leistungen« seiner Karriere, erklärte Turner am Samstag, seien CNN und die Anstellung von Larry King gewesen – »der größte Rundfunkjournalist aller Zeiten«.
Dabei war er nie in einem Journalismusseminar, hatte nicht mal einen Highschool-Abschluss, was den Dünkel der »seriösen« Branche nur verstärkte. Der jüdische Immigrantensohn aus Brooklyn jobbte 1957 als Hausmeister bei einem kleinen Radiosender in Miami, als er für einen DJ einspringen durfte. Bald talkte er mit Muhammad Ali, Frank Sinatra und Jerry Lewis.
Wettschulden, Ego und eine Betrugsanklage killten seine Karriere fast. CNN rettete ihn. Fast 60.000 Interviews führte er, in Hosenträgern und vor einem RCA-Mikrofon. Er war in Moskauer Hotels zu sehen und am Flughafen von Sydney.
Uralte Journalistenformel
Kings Everyman-Stil war authentisch, obwohl er in Beverly Hills lebte, in einer Villa mit goldenen Chintzmöbeln. Er bereitete sich selten vor, denn seine Fragen passten auf alles: »Wer, was, wo, wann?« Und vor allem: »Wieso?« Sobald eine Frage mehr als drei Sätze lang ist, wusste er, sei sie »eine schlechte Frage«.
Diese uralte Journalistenformel überforderte viele seiner schnöden Kritiker, die sich lieber selbst reden hörten. »Mein Geheimnis ist, dass ich dumm bin«, sagte er einmal, was mitnichten stimmte. Er war bescheiden und neugierig, ehrlich interessiert und sträflich unterschätzt. Kuscheln statt Konfrontation, ein trügerischer Trick. Manche Interviewer könnten sich daran ein Beispiel nehmen.
Sieben US-Präsidenten offenbarten sich ihm, von Gerald Ford bis Barack Obama. Er vernahm die Clintons und Monica Lewinsky (separat). Er fragte Ronald Reagan, wie es ist, angeschossen zu werden (»Ich hatte leichte Atemnot«), und Richard Nixon, ob er schon mal im Watergate-Gebäude war (nein, »aber andere waren da leider«). Donald Trump war ein Freund und Stammgast – bis zu dessen Präsidentschaft: »Dieser Donald ist nicht der Donald, den ich mal kannte«, sagte King 2019.
Er sprach mit Jassir Arafat und Jitzchak Rabin, Martin Luther King und Malcolm X, Madonna und Paul McCartney, Wladimir Putin, Bette Davis, den Beatles, Lady Gaga, Al Pacino, Liza Minelli, Barbra Streisand, Billy Joel, Betty Ford, Michelle Obama, Sammy Davis Jr., Henry Kissinger und einer Dame namens »Kathy das Nymphchen«. Kermit und Miss Piggy trugen ihm zu Ehren Hosenträger. Marlon Brando – der nie Interviews gab – küsste ihn auf den Mund.
Nur die ehrpusselige Konkurrenz konnte sich nie mit ihm anfreunden. King sei der »Urlaubsort des amerikanischen Journalismus, das Palm Springs der Medien«, lästerte Starkolumnistin Maureen Dowd in der »New York Times«. Die »Washington Post« beschrieb seine Interviews als »lockeres Geplänkel« und seine Show als »Oase für Berühmte und Berüchtigte«.
CNN setzte ihn 2010 ab, als Zanken schick wurde und Plaudern passé, und gab seinen Sendeplatz dem britischen Moderator Piers Morgan, der sich lieber selbst reden hörte. Bei seiner letzten Abmoderation kamen King die Tränen. Er wechselte ins Web, schloss ein viel geschmähtes Lizenzabkommen mit dem russischen Staatssender RT ab und begann zu twittern – Gedankenfetzen, die er einer Assistentin diktierte (»Ich saß noch nie in einem Kanu«).
King, achtmal verheiratet (mit sieben Frauen), überlebte zwei Herzinfarkte, einen vierfachen Bypass, Lungenkrebs, eine Angioplastie und 2019 einen Schlaganfall, nach dem er ins wochenlange Koma fiel. Seit Dezember lag er mit Covid-19 im Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, jener VIP-Klinik, in der auch zahllose der Stars, die er interviewt hatte, verstorben waren.
Sein Tod sorgte noch einmal für »Breaking News« bei CNN, das ihm den ganzen Tag hinterher trauerte, zehn Jahre zu spät. Viele Stars kondolierten live. Es war die perfekte Larry-King-Show.
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