
Seit 2016 Nationaltrainer der U21: Stefan Kuntz
Foto: Marton Monus / dpaEine bekannte Fußballbegrifflichkeit ist »die Handschrift des Trainers«. Kann auch der Laie erkennen, wie ein Coach sein Team eingestellt hat, was er mit ihr trainiert hat, worauf er besonders Wert legt? Wenn man die Handschrift eines Trainers auf dem Spielfeld sehen kann, ist das meist ein gutes Zeichen.
Wer die Länderspiele der deutschen U21-Auswahl während der gerade beendeten Europameisterschaft verfolgt hat, wird Dinge festgestellt haben, die das Team besonders ausgezeichnet haben: Teamgeist, Laufbereitschaft, hohe Qualität im Torabschluss. Das ist die Handschrift von Trainer Stefan Kuntz.
Am Sonntagabend haben sich die U21-Junioren von Kuntz zum Europameister gekrönt, 1:0 hieß es im Endspiel gegen Portugal. Es ist ein überraschender Triumph, gilt doch der aktuelle U21-Jahrgang nicht als der allerbeste. Er ist sogar so überraschend, dass bis zum Finaltag nicht einmal die Höhe der Siegprämie für die Spieler feststand, die Auswahlspieler hätten vor dem Turnier keinerlei Forderungen gestellt, sagte DFB-Sportdirektor Joti Chatzialexiou. Nun soll jeder 35.000 Euro erhalten.
Die Prämie wurde hart erarbeitet, das Team steigerte sich von Spiel zu Spiel. Gegen Dänemark im Viertelfinale gelang das Weiterkommen erst im Elfmeterschießen, gegen die Niederlande lag das Team schon nach 30 Sekunden in Führung, und nun, zum Abschluss gegen Portugal, zeigten beide Teams guten Fußball, aber als Sieger vom Platz ging der DFB-Nachwuchs dank des Treffers von Lukas Nmecha.

Kuntz beobachtet die Medaillenübergabe an seine Spieler
Foto: Igor Kupljenik / EPABereits 2017 triumphierte der DFB bei der U21-EM, 2019 stand er im Finale, nun folgte der nächste Titel. Der Trainer bei allen drei Turnieren hieß Stefan Kuntz, und nach jedem der drei Turniere stellte man fest, dass dort eine Mannschaft auf dem Platz gestanden hat, die auch einen solchen Namen verdient, die füreinander arbeitet, sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreibt und mit ihrer Freude auch das Publikum mitnimmt. Auch das ist Kuntz' Handschrift.
Nach dem Sieg gegen Portugal erzählte der U21-Coach, die Haare von der Bierdusche noch nass, wie er seine Mannschaft zuletzt motiviert habe. Sie sollen mit »Löwenherzen« spielen, habe er ihnen gesagt, sie sollen mutig sein und »Adleraugen« haben, das Spiel also ständig beobachten. Und, so Kuntz, sie sollten auftreten wie eine »Hyänenbande«. »Keiner kann Hyänen leiden, aber die kriegen zum Schluss immer, was sie wollen«, sagte Kuntz, und er gestand auch, dass einige Spieler über seine Tierbilder lachen mussten.
Kuntz, heute 58, kommt mit seiner lockeren Art bei jungen Spielern gut an. Drei Finalteilnahmen bei drei Turnieren, zwei Siege – das ist kein Zufall mehr. DFB-Direktor Oliver Bierhoff sagt, Kuntz sei ein starker Kommunikator, und der Kommunikator hat es nun erneut geschafft, in kurzer Zeit ein Team zu formen, das von Tag zu Tag stärker zusammenfindet. Eine echte Turniermannschaft eben. Es überrascht nicht, dass Kuntz' Vorgänger bei den U21-Junioren Horst Hrubesch war, der bei seiner Teamführung ganz ähnlich vorging.
Hoeneß über Kuntz: »Vorarbeiter für die Mannschaft«
Bei Kuntz war es oft so, dass er um wenige starke Einzelkönner herum eine Atmosphäre des Miteinanders im Team schuf. 2017 hatte er Serge Gnabry und Maximilian Arnold als Fixpunkte zur Verfügung, vor zwei Jahren waren es Florian Neuhaus und Robin Koch, diesmal Florian Wirtz von Bayer Leverkusen und Wolfsburgs Ridle Baku, der nach 14 Torbeteiligungen in der vergangenen Bundesliga-Saison wohl auch ein guter Rechtsverteidiger für die A-Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw gewesen wäre. Nun war er aber Teil der U21-Junioren, im Finale bereitete er das Siegtor vor.
Der Großteil der Mannschaft aber ist bisher selbst in Deutschland keiner größeren Öffentlichkeit bekannt gewesen: Ob Kapitän Arne Maier, der von Hertha BSC nach Bielefeld ausgeliehen war, oder Stammkeeper Finn Dahmen, der bei Mainz 05 die Nummer zwei in der abgelaufenen Saison gab (und auch auf Bitten des DFB zum Ende der Saison noch zwei Einsätze bekam). Kuntz hat aus einer eigentlich durchschnittlichen Mannschaft ein Siegerteam geformt.
Als aktiver Spieler wurde der Europameister von 1996 einmal als »überragender, intelligenter Fußballer« vom früheren Bayern-Boss Uli Hoeneß beschrieben, als einer, der sich immer völlig verausgabt. Kuntz sei »ein Stürmer, der bei allem Egoismus zuerst ein Vorarbeiter für die Mannschaft geblieben ist«, so Hoeneß. Wenn man heute die von Kuntz trainierten DFB-Jahrgänge spielen sieht, erkennt man auch den Spieler Kuntz darin wieder. Den Mannschaftsspieler, der heute ein Mannschaftsbauer ist.
Aber Stefan Kuntz war nicht immer ein Trainer, dem zugejubelt worden ist. Er arbeitete einst als Coach von Waldhof Mannheim und konnte das Team nicht vor dem Abstieg retten. Beim LR Ahlen hielt Kuntz im Jahr 2003 ganze 13 Pflichtspiele aus, mit einem Punkteschnitt von einem Zähler pro Partie wurde er wieder entlassen. Der Trainerberuf habe ihm »keine hundertprozentige Erfüllung« geboten, sagte er 2005, auch habe ihm als Trainer »das Arschloch-Gen« gefehlt.
Neue Mannschaft für Olympia
Es dauerte nach der Freistellung in Ahlen jedenfalls 13 Jahre, bis Kuntz auf den Trainerposten zurückkehren sollte. Es war ein gewisser Hansi Flick, der Kuntz 2016 in seiner Funktion als DFB-Sportdirektor einstellte und zum U21-Nationaltrainer machte. Beide hatten sich bei einem Treffen der Europameister von 1996 in Paris lange über die Ausrichtung des Unterbaus unterhalten. Danach fand Flick, dass Kuntz der perfekte Trainer für den Job wäre. Und die Ergebnisse geben ihm recht: Womöglich ist das fehlende »Arschloch-Gen« sein Geheimnis.
Jener Flick wird nach der EM Nachfolger von Löw als Bundestrainer. Ende März hieß es noch, Kuntz sei ein möglicher Kandidat. Aber als immer deutlicher wurde, wie sehr sich Flick mit Hasan Salihamidžić in München überworfen hatte, setzte der DFB voll auf ihn. Kuntz hat öffentlich nie Anspruch auf den Bundestrainerposten erhoben. Dieser Tage sagte er, dass er »im richtigen Moment am richtigen Fleck ist«. Es würde alles passen, er zur U21, und die U21 zu ihm. Für den DFB ist das ein Glücksfall.
Denn im Juli wartet schon ein neues Großprojekt: die Olympischen Sommerspiele in Tokio.
Kuntz wird in Japan mit einer ganz anderen Mannschaft antreten als zuletzt bei der EM, spielberechtigt sind der Jahrgang 1997 und jüngere Spieler, zudem sind drei Profis pro 18er-Kader erlaubt, die bereits älter sind. Max Kruse gilt als ein möglicher Kandidat. Spätestens am 29. Juni muss Kuntz sein Aufgebot bekannt geben, sein ganz neues Team. Er muss es dann in kurzer Zeit zusammenführen. Aber nach allem, was man jetzt über Stefan Kuntz weiß, darf man davon ausgehen, dass er das hinbekommt.
https://ift.tt/2TaeX7N
Sport
Bagikan Berita Ini
0 Response to "U21-Nationalcoach Stefan Kuntz nach EM-Triumph: Der Mannschaftsbauer - DER SPIEGEL"
Post a Comment