Neu bei Netflix: Neonlicht und nackte Körper
Bin ich noch ich? Passt mein Leben zu mir? Macht es mich glücklich? Mit diesen Fragen schlägt sich Billie (Sarah Shahi), einst Partygirl und nun Vorstadtmutter und Ehefrau, in der neuen Netflix-Serie »Sex/Life« herum. Alle, die sich in einer ähnlichen Sinneskrise befinden, bekommen in den acht Folgen demonstriert, wie man diese großen Fragen des Lebens besser nicht angehen sollte. Nachdem Billie zufällig auf ihren Exfreund Brad trifft, beginnt sie ein digitales Tagebuch: Darin schreibt sie über ihr Leben in New York, den aufregenden Sex mit ihrem Ex, die Sehnsucht nach ihrem früheren Leben. Große Mühe, die Datei zu verstecken, macht sie sich nicht, und so findet ihr Ehemann Cooper (Mike Vogel) eines Tages heraus, dass seine Frau früher ziemlich wild unterwegs war. Das hätte sie in den Ehejahren vielleicht erwähnen können. Auch, dass sie im Bett unzufrieden ist.
Und so beginnt das Drama, in dem beide versuchen, ihre Beziehung zu retten. »Sex/Life« hätte eine kluge Abhandlung über die Eintönigkeit der Ehe, die weibliche Lust und das Muttersein werden können. Doch statt Billies gegenwärtiger Gefühlslage geht es hauptsächlich um ihre vergangenen Sexabenteuer mit Brad. Die Macherin der Serie, Stacy Rukeyser, lässt keine Gelegenheit aus, die nackten Körper zu zeigen, was trotz Neon-Licht und Sexmusik irgendwann seinen Reiz verliert. Mehr Charaktertiefe hätte vor allem Shahi in ihrer Rolle als hin- und hergerissene Frau nicht geschadet. Danina Esau
Neue Ausstellung in Hamburg: Ausgebrannte Übermenschen
Fotografie »Förderturm, Fosse Nœux no. 13« von Bernd und Hilla Becher aus dem Jahr 1972.
Foto: Christian P Schmieder / Christian P. SchmiederEr wirkt ein bisschen, als würde er ein Fabelwesen beobachten: Auf Adolph von Menzels »Selbstbildnis mit Arbeiter am Dampfhammer im Walzwerk« steht der Maler höchstpersönlich mit Hut und Skizzenbuch am Bildrand. Vorn ist ein kräftiger Kerl zu sehen, er hält eine Zange im lodernden Feuer. Das Bild entstand 1872. Das Deutsche Reich war gerade gegründet, sein Aufstieg zur führenden Industrienation Europas stand bevor. Menzel und seine Zeitgenossen zeigten Industriearbeit als heroischen Kampf mit den Elementen – ein bisschen sehr stilisiert. Ganz anders dann die vielen müden Gesichter auf Hans Baluscheks ein Vierteljahrhundert später entstandenem Gemälde »Arbeiterinnen«. Die Übermenschen des Industriezeitalters waren längst ausgebrannt, in die Industriemalerei war Ernüchterung eingezogen.
Beide Bilder sind nun in Hamburg zu sehen, im Bucerius Kunst Forum, in der Ausstellung »Moderne Zeiten«. Die Entwicklungsgeschichte, die sich aus den dicht gehängten Werken ergibt, ist die einer Desillusionierung: Erst der titanenhaft dargestellte Aufschwung der frühen Fabrikkultur, dann der Traum von der Arbeiterklasse und schließlich der zumindest irgendwie noch ästhetisch überhöhte Blick auf die Welt der Zechen und Industrieanlagen in der Schwarz-Weiß-Fotografie der Nachkriegszeit. Am Ende aber sind die Menschen aus den Bildern verschwunden, die Automatisierung hat gesiegt. Beinahe zumindest. Wäre da nicht, gegen Ende der Ausstellung, Taslima Akhters Fotoserie »Death of a Thousand Dreams«. Sie zeigt Teile dessen, was im Jahr 2013 nach dem Einsturz eines Sweatshops in Bangladesch übrig blieb. Trümmer und über 1100 Tote. Industriearbeit gibt es noch immer. Sie ist nur aus unserem Blickfeld gerückt. Sebastian Hammelehle
Neue Literatur: Leben der Bohème
Es war Teil des Charmes der alten Bundesrepublik, dass sie sich in einer kulturellen Randlage befand. Im Schatten der Geschichte und östlich von Paris, London oder New York, der großen Metropolen, die die Nachkriegsära kulturell prägten. Aber mit gutem Aussichtsplatz. Wahrscheinlich konnte das einflussreiche Musikmagazin »Spex« deshalb auch nur in Köln entstehen, Anfang der Achtzigerjahre, als Zentralorgan der brillanten und konsequenzlosen Besserwisserei – und musste in Berlin untergehen, wohin die Redaktion 2007 umzog. Die Randlage war verloren. Max Dax verantwortete diesen Umzug als Chefredakteur, und in seinem Tagebuchroman »Dissonanz«, der in den Jahren 2009 und 2010 spielt, lässt sich das Ringen mit dieser Stadt beobachten. Während Dax seine Arbeit in der Redaktion fast völlig aus dem Buch heraushält, kann man ihm bei seiner Inszenierung eines Intellektuellen-Lebens zuschauen: interessante Leute treffen, essen gehen, reden, irgendwohin reisen, noch mehr interessante Leute treffen, essen gehen, zurückkommen, essen gehen. Flugzeug, Taxi, Bahn. Dax liebt die Halböffentlichkeit der Restaurants und Flughäfen – gleichzeitig spürt er eine entsetzliche Leere. Die »Spex« musste 2018 schließen, auch weil es ihr nie gelang, im Zentrum der neuen europäischen Kultur eine passende Rolle zu finden. In »Dissonanz« kann man nachlesen, wie es sich anfühlte, danach zu suchen. Tobias Rapp
Neu im Kino: Schweiß, Schweiß und Tränen
Szene aus »Bad Luck Banging or Loony Porn«
Foto: Ghetie Silviu / Neue VisionenMachen wir uns nichts vor: Auch ohne Klimawandel hätten wir keinen kühlen, entspannten Sommer mehr. Denn wenn die Sonne nicht scheint, erhitzen Debatten über Moral, Sex, Corona und Nazivergangenheit manche Gemüter auf Rekordtemperaturen. Den bislang wohl heißesten Sommer in dieser Hinsicht, nämlich den des vergangenen Jahres, hat der rumänische Regisseur Radu Jude in einer wilden Satire eingefangen – und dafür den Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale gewonnen. »Bad Luck Banging or Loony Porn« (in etwa: Pech beim Vögeln oder Bekloppten-Porno) ist in drei Teile gespalten. Der erste folgt Lehrerin Emi (Katia Pascariu) dabei, wie sie den Schaden zu begrenzen versucht, den ein Sexvideo von ihr und ihrem Mann verursacht hat.
Überall in Bukarest, so scheint es, hängen Eltern und Schüler über ihren Smartphones, um den aus Versehen veröffentlichten Clip anzuschauen. Der Aufregung ist kaum mehr beizukommen, schließlich liegen die Nerven schon durch die Pandemie blank. Wie zum Runterkühlen seines Publikums streut der Regisseur im zweiten Teil essayistische Einsprengsel zu Schlagworten wie »Krieg« oder »Ceaușescu« ein, um im dritten Teil wieder einzuheizen: Emi landet vor einem Tribunal, bei dem sich empörte Eltern und besorgte Bürger gegenseitig aufwiegeln, bis der Kollaps droht. Schweißtreibender, aber zum Glück auch lustiger als mit der Satire »Bad Luck Banging or Loony Porn« könnte der Kinosommer kaum beginnen. Hannah Pilarczyk
Neue Popmusik: Weltschmerz-Stimme
Sängerin Chuala
Foto: privatEines Morgens glaubte die Sängerin Chuala plötzlich zu wissen, worüber sich die zwitschernden Vögel im Hinterhof ihrer Kreuzberger Wohnung spöttisch unterhielten: über Menschen, Alltagsstress und Zumutungen für die Umwelt. »Ich weiß, ich höre mich an, als wäre ich crazy, aber ich schwöre, ich war komplett nüchtern«, sagt sie. Die 24-jährige Wahlberlinerin hat gerade zwei Singles veröffentlicht, die sie zu einer der Pop-Entdeckungen des Sommers machen: »Good Morning World« ist eine sphärische Elektro-Ballade mit einem verträumten Gitarren-Motiv, in der sich Chuala bei der Welt dafür entschuldigt, wie sehr die Menschheit der Natur zusetzt. Der zweite Song, »Wake up«, stürzt sich mit einem antreibenden House-Rhythmus in die Überforderung eines Arbeitstages: »Wake up, go work till my brain stops«, singt sie darin, mit einer verkatert klingenden Weltschmerz-Stimme, die ein wenig an Billie Eilish erinnert, aber auch einen Soul-Vibe transportiert.
Tanzbare, international anschlussfähige Popmusik jenseits eindeutiger Genre-Kategorien, in der sich Klimabewusstsein und Kritik am kapitalistischen Optimierungswahn formuliert, ist in der deutschen Musiklandschaft ein neuer Sound. Die Tochter einer Norddeutschen und eines Kameruners wurde als 14-jähriger Teenager von großen Plattenfirmen entdeckt und schreibt seitdem Songs für internationale Chart-Acts. »Wahrscheinlich hätte ich schon längst sehr erfolgreich sein können, wenn ich auch für mich selbst kommerziellen Pop gemacht hätte«, sagt Chuala, aber sie wollte lieber etwas Originäres. Erst in der Einsamkeit des Shutdowns und der Trauer über ihren verstorbenen Vater, dem sie vergangenes Jahr ihre Debüt-EP widmete, fand sie die Muße, sich als Musikerin zu erfinden. Andreas Borcholte
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