Album der Woche:
Bruce Springsteen macht gerade komische Sachen. Zusammen mit Eddie Vedder (Pearl Jam) liefert er sich ein Duell der emotionalen Gröhlstimmen in einer grotesk peinlichen »Highway To Hell«-Coverversion von Tom Morello (Rage Against The Machine). Bereits im Juni war der »Boss« des US-amerikanischen Kleine-Leute-Rocks als Gastsänger in einer neuen Version des Killers-Songs »A Dustland Fairytale« zu hören, laut eigener Aussage sein Lieblingsstück der ewig uncoolen Glampowerrock-Gruppe aus Las Vegas – rührend, aber auch ungenießbar.
Für Killers-Sänger Brandon Flowers muss sich Springsteens überraschendes Fan-Outing wie der Ritterschlag seines Idols angefühlt haben. Eigentlich versuche Flowers ja immer schon vergeblich, ein »Born To Run« für seine Generation aufzunehmen, so fasste es neulich das US-Magazin Pitchfork mit ein wenig Häme zusammen. Das Problem der Killers, seit bald 20 Jahren erfolgreich und bekannt durch Hits wie »Mr. Brightside« oder »Human«, war immer schon, dass nur Springsteen selbst mit dieser immer hart am »Too much« vorbeischrammenden Art von Haudrauf-Hymnismus durchkommt. Einfach weil er Springsteen ist – und das Pathos seiner Musik immer noch irgendwie mit viel Arbeiterschweiß und Mucker-Chuzpe ausbalanciert. Da ist das Flanellhemd dann am Ende doch ratsamer als ein mit Schulterfedern besetztes Jäckchen von Dior.
Jetzt hat Flowers zumindest einen Zwischenschritt gemacht: »Pressure Machine«, das siebte Killers-Album, ist so etwas wie sein »Nebraska«, Springsteens introvertiertes Roadtrip-Album von 1982. Der »Boss« wäre stolz – oder auch nicht.
Das Konzept der Platte, die nur ein Jahr nach dem letzten, erneut überblasenen Album »Imploding The Mirage« erscheint, ist ambitioniert: Durch Corona zum Nichtstun statt Touren verdammt, fing Flowers an, sich an seine Kindheit und Jugend in Nephi, US-Bundesstaat Utah, zu erinnern, in der er sich einst wohl ähnlich isoliert fühlte wie nun im Lockdown. Nephi ist ein 5300-Einwohner-Kaff südlich von Salt Lake City: auf der einen Seite Felder, auf der anderen Berge, sonst viel Nichts.
Flowers begann Songs über die Leute und Schicksale im Ort zu schreiben. Manche sind real, manche erfunden wie die Geschichte eines Polizisten, der sich in eine zuhause misshandelte Frau verliebt und deren Ehemann umbringt (»Desperate Things«). Als sich allmählich ein neues Album herauskristallisierte, heuerte die Band sogar einen lokal gut vernetzten Journalisten des nicht-kommerziellen Netzwerks NPR an, um die Stimmen der Einwohner von Heute einzufangen.
Ihre lakonischen Soundbites verbinden nun die einzelnen Songs miteinander wie eine Oral History des Abgehängtseins. Es geht in den Liedern um die betäubende Macht von Hillbilly-Heroin (»West Hills«), um einen schwulen Kleinstadt-Teenager, der sich vor den regelmäßig durchrollenden Güterzug werfen will (»Terrible Thing«) und um die zerplatzen Träume der Älteren (»In A Car Outside«) – pralles, panoramisches Americana also, wie es US-Songwriter von John Prine bis Jason Isbell über Jahrzehnte hinweg musikalisch perfektioniert haben. Nun will also auch der Artpop-Rocker Flowers authentisch wirken.
Ganz so erdig und karg wie das Cover-Artwork vermuten ließe, ist die Musik dann aber doch nicht geworden, für Killers-Verhältnisse ist sie jedoch geradezu sparsam: Die vom Dauerdröhnen befreiten Arrangements sind weniger opulent instrumentiert und lassen nun mehr Raum für die oft sehr guten Refrains und -Hooks, die die Band sonst gerne unter Bombast begräbt. Die Songs von »Pressure Machine« gehören zu den besten, die Flowers bisher gelungen sind, er singt sie zu seufzenden Fiedeln und gniedelnden Gitarren mit so aufrichtiger und beherzter Stimme, als wäre er von sich selbst am meisten gerührt.
Manche Verszeile bleibt aber auch banal, zum Beispiel wenn Flowers in »Sleepwalker« bedeutungsvoll intoniert: »Everyone is afraid of losing/ Even the ones that always win«. Nun ja. Das Album könnte dennoch den Eintritt der Killers in eine dann doch noch ernsthafte Phase ihrer Karriere markieren, das wäre erfreulich. Nicht nur Springsteens Erbe sein zu wollen, sondern auch noch wie dessen 1-Euro-Shop-Kopie zu singen (u.a. in »Terrible Thing«), dafür sollte sich allerdings selbst Brandon Flowers zu schade sein. Findet bestimmt auch der »Boss« eher doof. (7.5)
Kurz abgehört:
Tinashe – »333«
Nach und nach erfüllt sich das Versprechen der besten Tracks ihres Debüts »Aquarius« (2014): Die inzwischen 28 Jahre alte R&B-Sängerin Tinashe geriet jahrelang in die Image-Mühlen ihres Majorlabels, das sie zur seriösen Alternative-Soul-Diva formen wollte. Dabei spielt sie viel lieber mit forschen, aber immer eleganten Pop- und Dance-Elementen, wie zuletzt in ihrem in Eigenregie veröffentlichten Album »Songs For You« und auch jetzt auf ihrer fünften LP. »I can see the future, feels like paradise«, singt sie lässig und befreit. Na endlich. (8.0)
Jungle – »Loving In Stereo«
Noch mehr Überlebende von 2014: Tom McFarland and Joshua Lloyd-Watson, zwei junge weiße Produzenten und Musiker aus London, fanden damals mit bald Hits wie »The Heat« oder »Busy Earnin'« einen modernisierten Disco-Soul-Sound. Die Spannkraft ließ dann beim Nachfolgealbum arg nach, jetzt kriegten die beiden wieder mehr Schwung in ihre Retro-Grooves. Im Vergleich mit den politischeren und musikalisch innovativeren Genre-Kollegen von Sault wirkt’s allerdings zu blass für die Gegenwart. (6.0)
Devendra Banhart & Noah Georgeson - »Refuge«
Ein »meditativer Blick auf die Lebensreise zweier Schnecken, von der Zeugung bis ins hohe Alter, erzählt von einem Chor aus natürlichen Bildern und anderen Käfern«, so beschreibt die Surrealismus-Künstlerin Nicky Giraffe das Video, das sie für zwei Tracks des gemeinsamen Albums der beiden experimentierfreudigen Folk-Musiker Devendra Banhart und Noah Georgeson gedreht hat. Klingt jetzt erstmal abschreckend. Aber zum Glück hinterlassen die beschaulichen, ultimativ entschleunigenden Zen- und Ambient-Etüden des Duos keine Schleimspuren. (7.0)
Jana Rush – »Painful Enlightenment«
Das schmerzhafte »Moanin'« (Stöhnen), das der erste Track mit hektischem Saxofon-Loop ankündigt, kommt erst im zweiten, der sich neun Minuten lang über blutpumpenden Bässen und Stress-Geräuschen einen Suizid vorstellt: uff. Die eigentlich aus der Footwork-Szene stammende Dance- und Elektronik-Musikerin Jana Rush aus Chicago vertont auf ihrem zweiten Album die eigene Depression (»Mynd Fuc«) und vermengt dabei House, Jazz, Industrielärm und selbst aufgenommene (Masturbations-)Sounds zu einem herausfordernden, letztlich aber faszinierenden Genre-Experiment. Gestört, aber geil. (8.5)
Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)
Mittwochs um 23 Uhr gibt es beim Hamburger Webradio ByteFM ein »Abgehört«-Mixtape mit vielen Songs aus den besprochenen Platten und Highlights aus der persönlichen Playlist von Andreas Borcholte.
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