Nummer eins bei Netflix : Was Eltern über „Squid Game“ wissen müssen (und nicht nur die)
Analyse Düsseldorf In neun Folgen kommen rund 500 Menschen brutal zu Tode. Blut spritzt, Leichen stapeln sich. Doch elterliches Entsetzen über die krassen Szenen wird der Serie „Squid Game“ nicht gerecht. Es geht um Menschlichkeit in einem totalitären System. Die wichtigsten Fakten und Details, auch zur möglichen zweiten Staffel. Achtung: moderate Spoiler!
Seit Mitte September 2021 läuft „Squid Game“ weltweit bei Netflix und wurde eigens für den Streamingdienst produziert. In fast allen Ländern, auch in Deutschland, steht die Serie auf Platz eins und ist die weltweit erfolgreichste nicht englischsprachige Netflix-Serie. Absehbar dürfte sie der erfolgreichste Titel überhaupt sein und sogar die romantische US-Historienserie „Bridgerton“ ablösen. Die erste Staffel umfasst neun Folgen. In Deutschland sind neben der koreanischen Originalfassung – auch mit deutschen Untertiteln – deutsch- und englischsprachige Synchronisationen verfügbar.
Worum geht es in „Squid Game“?
456 Menschen nehmen freiwillig an einem Wettbewerb teil, den, wie sich bald herausstellt, nur einer gewinnen kann und bei dem alle anderen in sechs Einzelrunden getötet werden. Nach der ersten Runde bleiben nur 201 Teilnehmer übrig. Das Preisgeld wird bar in einer riesigen Glaskugel an der Decke des Schlafsaals zur Schau gestellt. Mit jedem Toten wächst es um 100 Millionen Won (aktuell gut 70.000 Euro); dann fallen weitere Geldbündel von oben in die Glaskugel. Am Ende beträgt das Preisgeld 45,6 Milliarden Won (rund 33 Millionen Euro). Weil jeder Tote die Summe erhöht, brechen unter den Teilnehmern auch abseits der Wettbewerbe mörderische Kämpfe aus. Die Toten werden von den uniformierten und maskierten Wächtern weggeschafft und in einem unterirdischen Krematorium verbrannt.
In der ersten Runde kommen die 456 Teilnehmer in eine Halle, an deren Ende eine überdimensionierte Roboterpuppe mit automatischen Maschinenpistolen aufgebaut ist. Die Teilnehmer müssen binnen fünf Minuten die andere Seite erreichen, dürfen sich aber nur bewegen, solange der Kopf der Puppe abgewandt ist, sie also wegschaut: „Grünes Licht!“ Wendet sie sich den Teilnehmern zu, heißt es „Rotes Licht“, und es werden alle erschossen, die sich noch bewegen. 255 Menschen, also deutlich mehr als die Hälfte, bleiben tot liegen: eine mörderische Variante des deutschen Kinderspiels „Ochs am Berg“.
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Was steckt hinter dem Namen „Squid Game“?
„Squid“ ist das englische Wort für Tintenfisch. Das traditionelle „Squid Game“, zu Deutsch also Tintenfischspiel, tragen koreanische Kinder auf einem Spielfeld aus, in dem ein Tintenfisch schematisch dargestellt ist. Der Angreifer springt zunächst auf einem Bein, bis er im Rumpf des Tintenfischs angekommen ist. Der Verteidiger muss ihn von dort wieder verdrängen, um zu gewinnen. Die Serie hatte ursprünglich den Arbeitstitel „Round Six“, also sechste Runde. Denn das Tintenfischspiel ist der letzte der sechs Wettbewerbe auf Leben und Tod.
Wie brutal ist „Squid Game“?
In den neun Folgen der ersten Staffel, die insgesamt 485 Minuten dauern, sterben etwa 500 Menschen einen brutalen, gewaltsamen Tod, im Durchschnitt also etwa jede Minute einer. Das Blut spritzt, Köpfe zerbersten, Leichen stapeln sich. Diese Ästhetik des Blutes, wenn man es denn so nennen will, findet sich so ähnlich in aktuellen Computerspielen, im jüngst angelaufenen Kinofilm „The Suicide Squad“ (ab 16 Jahre) und in den „John Wick“-Filmen (Teil eins ebenfalls ab 16, Teil zwei und drei ab 18). Wahrscheinlich sind die meisten 16- bis 18-Jährigen so nicht zu schrecken. Viele Eltern dürften solche Szenen trotzdem als nicht zu tolerierendes Gemetzel empfinden, aber sie entsprechen inzwischen den Sehgewohnheiten.
Für welche Altersgruppe ist die Serie geeignet? Kann mein Kind sie schauen?
„Squid Game“ verfügt über keine Einstufung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), weil das für Eigenproduktionen von Streamingdiensten nicht vorgesehen ist. Allerdings muss Netflix auf eine Alterskennzeichnung nach dem Jugendschutzgesetz hinweisen und tut das auch: ab 16 Jahre. Für diese Einstufung können Kriterien der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) herangezogen werden, in denen es für diese Altersgruppe unter anderem heißt: „In Programmen, die für ein Publikum ab 16 Jahren freigegeben werden, müssen drastische Darstellungen von Gewalt in einen narrativen Kontext eingebettet sein, damit sie distanziert wahrgenommen werden können.“ Die Gewalt müsse „durch die Gesamtaussage des Formats relativiert werden“, heißt es weiter. „Obwohl die Protagonisten auch Regeln brechen, werden ihre Grenzüberschreitungen nachvollziehbar infrage gestellt.“ Zum Vergleich: Die ähnlich drastische, wenn auch weniger blutige Erfolgsfilmserie „Die Tribute von Panem“ hat die FSK ab 12 Jahre freigegeben.
Welche Botschaften vermittelt „Squid Game“?
Die Hauptfigur Gi-hun, dargestellt von Lee Jung-jae, ist ein verkrachter junger Mann, der chronisch pleite ist und bei Pferdewetten zockt. Als er als Mitspieler eingeladen wird, reizt ihn das viele Geld, nicht zuletzt, um seiner diabeteskranken Mutter eine Krankenhausbehandlung bezahlen zu können. In jedem der sechs Wettbewerbe versucht er, moralisch zu handeln.
Anders als bei allen anderen Kontrahenten stirbt kein Mensch durch seine unmittelbare Handlung. Ein direkter Gegenspieler von ihm scheint zunächst getötet worden zu sein, hat aber überlebt. Ein anderer tötet sich selbst. Zugleich formiert Gi-hun eine Gruppe, die aus vermeintlich schwächeren Kämpfern besteht, die sich aber dank ihres Teamgeists gegen die anderen durchsetzen.
Gi-hun ist eine zutiefst moralische Figur in einem totalitären System, das von maskentragenden, uniformierten Befehlsempfängern verkörpert wird. Ausgerechnet er, der nicht nur an sich selbst denkt und für den Geld am Ende nicht alles ist, kann das tödliche Spiel gewinnen – das ist die Botschaft, und „Squid Game“ ähnelt auch darin der Filmserie „Die Tribute von Panem“.
Die Wettbewerbe werden vor den Augen einer Gruppe reicher, ekelhafter und zutiefst amoralischer Männer abgehalten, die in einer eigenen Luxusloge auf die Teilnehmer wetten. Das wirkt wie eine moderne Form des Gladiatorenkampfes im alten Rom. Die Reihen der uniformierten Wächter erinnern an „Die Tribute von Panem“ ebenso wie den „Krieg der Sterne“, also cineastische Interpretationen totalitärer Systeme der Vergangenheit.
Wer sind die weiteren Figuren der Serie?
Das Ensemble von „Squid Game“ besteht aus einigen sehr bekannten südkoreanischen Schauspielerinnen und Schauspielern. Neben Gi-hun sind es vor allem die Angehörigen seines vermeintlich schwachen Teams und sein Gegenspieler, um die sich die Geschichte dreht.
Gi-hun trägt die Nummer 456 auf seinem Overall, ist also als letzter Teilnehmer aufgenommen worden. Bevor es richtig losgeht, lernt er Oh Il-nam kennen, die Nummer eins. Er ist der älteste Spieler, der zunehmend an Demenz leidet, aber der Gruppe durch die Erinnerung an die Spiele aus seiner Kindheit hilft. Verkörpert wird er von Oh Young-soo, einem bekannten Theaterschauspieler, der auf die 80 zugeht und nach eigenen Angaben seit 1967 in mehr als 200 Produktionen mitgewirkt hat, darunter in der Rolle des Faust von Goethe. Häufig hat er buddhistische Mönche gespielt, auch in „Squid Game“ zeigt er eine spirituelle Seite.
Eine tragende Rolle hat ebenso die Figur von Kang Sae-byeok, gespielt von Jung Ho-yeon, einem 27-jährigen erfolgreichen Model, das auf dem Cover mehrerer asiatischer Modemagazine erschienen ist. Sie verkörpert eine in sich gekehrte, desillusionierte junge Frau aus Nordkorea, die in Südkorea nicht auf die Füße gekommen ist und mit dem Preisgeld ihrem jüngeren Bruder, der in einem Waisenheim lebt, eine Zukunft eröffnen will.
Die Rolle von Cho Sang-woo beschreibt einen ehrgeizigen Finanzexperten, der zwar zu der Gruppe um Gi-hun gehört, aber sich wenig um die anderen schert. Verkörpert wird er von Park Hae-soo, der bisher vor allem im Theater und in Fernsehserien aufgetreten ist.
Gi-huns Gegenspieler ist Jang Deok-su, ein schmieriger, psychopathischer Kleinkrimineller, der ebenfalls eine Gruppe – ausschließlich aus Männern – um sich schart. Verkörpert wird er von Heo Sung-tae: Der ehemalige Fernsehverkäufer, der Russisch studiert hat, trat vor zehn Jahren in einer Talentshow auf und ist seitdem in mehr als 60 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen gewesen. In „Squid Game“ ist seine kurzzeitige Liaison mit Han Mi-nyeo, herrlich geschwätzig verkörpert von Kim Joo-ryung, sein Schicksal. Auch hier wird nebenbei eine starke moralische Botschaft transportiert: Die Unterdrückung einer Frau wird als ekelhaft inszeniert, und sie wird dem Mann zum Verhängnis.
Die Rolle von Ali Abdul beschreibt einen jungen Pakistaner, der in Südkorea vergeblich sein Glück gesucht hat und seiner Familie nun ein gutes Leben in der Heimat ermöglichen will. Gespielt wird er von Anupam Tripathi, einem Schauspieler aus Indien, der 2010 fürs Studium nach Seoul kam und seitdem in zahlreichen Filmen und Serien aufgetreten ist, häufig in der Rolle eines Gastarbeiters.
Wann kommt Staffel zwei von „Squid Game“?
Ob es eine weitere Staffel geben wird, ist noch offen, doch es deutet einiges darauf hin. Regisseur Hwang Dong-hyuk erklärte zwar, er habe keine entsprechenden Pläne, skizzierte aber einen konkreten Weg: „Es ist ziemlich ermüdend, auch nur darüber nachzudenken. Aber wenn ich es machen würde, würde ich es sicher nicht alleine machen. Ich würde in Betracht ziehen, ein Autorenteam zu nutzen, und ich würde verschiedene erfahrene Regisseure wollen“, sagte er dem US-Magazin „Variety“. Und Hauptdarsteller Lee Jung-jae erklärte schon öffentlich, er sei bereit, die Rolle in einer zweiten Staffel zu übernehmen. Am Ende der ersten Staffel bleibt alles offen, denn der Wettbewerb beginnt auf ein Neues. Eine zweite Staffel könnte nahtlos anschließen.
Wer sind die Macher?
Die Idee zu „Squid Game“ ist schon mehr als ein Jahrzehnt alt und stammt von Hwang Dong-hyuk, der das Drehbuch schrieb und Regie führte. Die bisherigen Filme des 50-Jährigen haben in Südkorea 18 Millionen Besucher in die Kinos gezogen, aber „Squid Game“ stellt alles in den Schatten. Auch Lee Jung-jae, der die Hauptfigur Gi-hun verkörpert, ist in Südkorea eine bekannte Größe, dessen Filmografie mehr als 30 Filme seit 1993 auflistet. Er geht auf die 50 zu, wirkt aber in dieser Rolle deutlich jünger. Über den Erfolg der Serie hat er sich einem Interview überrascht gezeigt, vor allem auch, weil er eine humorvolle Seite zeigt, die er als Darsteller bisher selten ausgelebt hat. „Ich hoffe, das löst beim internationalen Publikum eine Liebe für viele andere koreanische Inhalte aus“, wie er dem „Korea Herald“ sagte.
Was lernt man durch „Squid Game“ über Süd- und Nordkorea?
„Squid Game“ spielt überwiegend in hermetisch abgeschotteten Hallen, in denen die tödlichen Wettbewerbe ausgetragen werden. Am Anfang und am Ende wird die wirkliche Welt gezeigt: die südkoreanische Hauptstadt Seoul, eine glitzernde Zehn-Millionen-Metropole mit starken sozialen Gegensätzen.
Die Hauptfigur Gi-hun kommt aus ärmlichen Verhältnissen. Einige Szenen zeigen ein Elend, wie es junge Menschen in Deutschland nicht erleben, etwa auf dem Markt, wo Gi-huns Mutter arbeitet. Aber ansonsten ist Seoul in der Serie eine austauschbare Großstadt, wie sie überall auf der Welt zu finden ist. Dass Korea ein geteiltes Land ist, wie es Deutschland bis 1990 war, spielt nur am Rande eine Rolle: Eine wichtige Figur ist Kang Sae-byeok, die aus Nordkorea geflüchtet ist und im Süden vergeblich ihr Glück gesucht hat.
Vielleicht zeigt die enorme Popularität der Serie auch, wie weltläufig die junge Generation von heute ist, weil sie sich offensichtlich völlig mühelos mit den asiatischen Darstellern identifiziert. Noch vor wenigen Jahren hätte eine koreanische Serie allenfalls einen Liebhaberstatus erreichen können, aber nicht diesen durchschlagenden Erfolg.
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