Exklusiv
Stand: 06.11.2021 06:12 Uhr
Streit um Inseln, Beinahe-Kollisionen von chinesischen und US-Kriegsschiffen – der Konflikt im Indopazifik gewinnt an Schärfe. Recherchen von report München und "Welt am Sonntag" zeigen, welche Rolle deutsche Technik spielt.
Ein beträchtlicher Teil der Kriegsschiffe der chinesischen Marine wird von Motoren angetrieben, die deutsche Hersteller entwickelt oder sogar gebaut haben. Es geht um MTU in Friedrichshafen und um eine französische Filiale der VW-Tochter MAN. Detaillierte Angaben zu den Lieferungen von MTU an China lassen sich in der öffentlich zugänglichen Datenbank des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri finden. MTU war demnach mindestens bis 2020 ein regelmäßiger Lieferant für hochmoderne Luyang-III-Zerstörer, auf dem Umweg über die Lizenzproduktion in China.
MAN und MTU versichern gegenüber report München und der "Welt am Sonntag", sich stets an die jeweiligen Exportkontrollregeln gehalten zu haben. Nach der Ausrüstung von U-Booten der Song-Klasse habe man Lieferungen für chinesische U-Boote "endgültig eingestellt", heißt es aus der MTU-Zentrale in Friedrichshafen. Nie sei man selbst "Verträge mit dem chinesischen Verteidigungsministerium oder den Streitkräften eingegangen". Offenbar schlossen also Partner oder Lizenznehmer diese Verträge. Und der Motoren-Typ, der laut Sipri in den Luyang-III-Zerstörern eingebaut ist, sei bei der Ausfuhr nicht genehmigungspflichtig. Es handle sich um sogenannte Dual-Use-Güter - also um Motoren, die auch für zivile Anwendungen genutzt werden können.
Exporte in der "Grauzone"
Unter Experten ist strittig, ob bei wissentlichen Lieferungen für Chinas Militär nicht einmal eine Genehmigungspflicht vorliegen kann. "Da gibt es eine Grauzone", sagt Siemon Wezeman von Sipri.
Auch in diesem Jahr stellt die chinesische Marine weitere Luyang-III-Zerstörer in Dienst, zuletzt die "Kaifeng" im Juli 2021 anlässlich des 100. Geburtstages der Kommunistischen Partei Chinas. Die Schiffe dieses Klasse sind mit Boden-Luft-Raketen und Marschflugkörpern bewaffnet.
Brisant sind diese Geschäfte auch deshalb, weil China in den vergangenen Jahren aggressiv bestimmte Territorialansprüche verfochten hatte. So hält die Volksrepublik Inseln im Südchinesischen Meer besetzt. 2016 wies ein Urteil des Ständigen Schiedshofs in Den Haag Chinas dortige Ansprüche zurück, darunter jene auf das Subi Reef und das Fiery Cross Reef. Zuletzt im Juli 2021 forderte auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren chinesischen Amtskollegen Wei Fenghe dazu auf, den Schiedsspruch aus Den Haag zu akzeptieren.
Einsatz im Zusammenhang mit umstrittenen Inseln
China soll laut US-Angaben dennoch auf beiden Inseln sogar Abschusssysteme für Marschflugkörper installiert haben. Report München und "Welt am Sonntag" werteten dazu Satellitenfotos von Google Earth aus. Sie zeigen mutmaßlich mit MAN- und MTU-Motoren ausgerüstete chinesische Kriegsschiffe auch bei diesen beiden umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer.
Auf Bildern vom 23. Januar 2018 lässt sich am Fiery Cross Reef im Spratly-Archipel ein etwa 150 Meter langes Schiff ausmachen, das die Merkmale der Luyang-I-Klasse aufweist. Laut Sipri ist dieser Typ mit MTU-Motoren ausgerüstet. An drei verschiedenen Tagen des Jahres 2018 kann man am Subi Reef, ebenfalls in den Spratlys, ein Schiff von etwa 90 Meter Länge ausmachen. Es weist mehrere Merkmale der Fregatten vom Typ Jiangdao auf. Laut Sipri wurden bis 2020 bei 70 Schiffen dieses Typs in Frankreich entwickelte Motoren des Typs PA6 eingebaut. Maschinen dieses Namens hat ursprünglich die französische MAN-Tochter SEMT Pielstick entwickelt.
Lieferungen an chinesische Marine und Küstenwache
MAN wie MTU sprachen zeitweise sogar öffentlich über ihre Geschäfte mit Pekings Militär. Nach der Gründung eines Joint Ventures in China im Jahr 2010 etwa erwähnte der Chef der Firma Tognum - unter diesem Namen firmierte MTU damals - Lieferungen von "Schiffsmotoren für die chinesische Marine und Küstenwache". Die französische MAN-Tochter SEMT Pielstick kündigte im Jahr 2002 auf der eigenen Webseite, bis heute auf Archivseiten auffindbar, die Lieferung von in China in Lizenz gefertigten Motoren des Typs PA6 für eine neue chinesische Fregattengeneration an.
Zuletzt warnte das von Heiko Maas geführte Auswärtige Amt vor einem Jahr vor den "stark zunehmenden Rüstungsdynamiken" im Indopazifik. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer ließ erst im August die Fregatte "Bayern" in das Seegebiet vor Chinas Küste entsenden, auch als Signal an China.
Lückenhafte Exportkontrollregeln?
MTU und MAN können sich bei ihren Lieferungen trotzdem darauf berufen, dass diese zulässig sind. Die EU hatte zwar nach dem Tiananmen-Massaker im Jahr 1989 ein Waffenembargo gegen China verhängt. Dessen Bindungswirkung ist aber begrenzt.
"Weil das EU-Waffenembargo für China nicht formal nach den europäischen Verträgen beschlossen wurde, können bestimmte Ausfuhren von Schiffsmotoren auch für die chinesische Marine zulässig sein", sagt der Kölner Anwalt und Ausfuhrexperte Sebastian Roßner: "Wenn man das ändern will, muss die EU entweder die Dual-Use-Verordnung ändern oder formal ein Waffenembargo verhängen."
Auf diese Rechtslage verweist auch das für Rüstungsexporte zuständige Bundeswirtschaftsministerium. Aus diesem Grund sei es bei bestimmten Gütern gar nicht möglich, eine Genehmigungspflicht zu verhängen. Bereits 2017 habe man aber "eine weitergehende Kontrolle von Motoren für U-Boote" veranlasst.
Greenpeace-Experte fordert schärfere Regeln
Das deutsche Kontrollsystem sei derzeit klar auf Export ausgerichtet, sagt der Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz, außer wenn es explizit um Kriegswaffen gehe. Lurz fordert von einer künftigen Bundesregierung, diese Logik umzukehren: "Der Export von allem, was genutzt wird, um Waffen zu produzieren und Kriege zu führen, muss zunächst verboten sein", fordert der Greenpeace-Experte. "Kauft ein ausländischer Rüstungskonzern wesentliche Komponenten für ein Waffensystem in Deutschland, ist dies ein Rüstungsexport und er muss als solcher behandelt werden", so Lurz. Er sieht die umfassende Kontrolle von Waffenexporten als eine dringliche Aufgabe für die neue Bundesregierung.
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