Am 18. Mai legten zwei Umweltaktivist:innen vom „Aufstand der letzten Generation“ den Betrieb der PCK-Raffinerie Schwedt für einige Stunden lahm. Sie hatten die Pumpstation Glantzhof abgeschaltet und sich dann mit Sekundenkleber an ein Geländer geklebt. Die Berliner Reporterin Louisa Theresa Braun von der Tageszeitung Neues Deutschland hatte das Duo dabei unter anderem fotografiert. Sie hatte ihr Kommen der Betreiberfirma der Pumpstation im Vorfeld nicht angekündigt und sich nach eigener Darstellung gemeinsam mit den beiden Umweltaktivist:innen ohne zu Fragen auf das Gelände geschmuggelt. Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg leitete daraufhin gegen alle drei Ermittlungen wegen Hausfriedensbruch und Störung öffentlicher Betriebe ein und ordnete die Beschlagnahme von Brauns Arbeitsausrüstung an. Dies ist insofern heikel, als dass Aufzeichnungen von Journalist:innen gegen Beschlagnahme besonders geschützt sind.
Dass Laptop und Handy der Journalistin beschlagnahmt wurden, bewertete das Amtsgericht Neubrandenburg als nicht zulässig. Der entsprechende Beschluss vom 25. Mai liegt KATAPULT MV vor. Die Gegenstände kämen demnach als Beweismittel überhaupt nicht in Betracht. Zwar bejahte das Gericht einen Anfangsverdacht wegen Hausfriedensbruch. Allerdings sei das Trio nicht des Störens öffentlicher Betriebe verdächtig. Bei der Raffinerie handele es sich nicht um ein für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtiges Unternehmen. Der Sachverhalt liege außerdem komplett offen. Es sei nicht ersichtlich, was mit Hilfe des Smartphones und des Laptops noch bewiesen werden solle, so das Gericht.
Die Staatsanwaltschaft hält unterdessen an den Vorwürfen unverändert fest. Die rechtliche Bewertung des Falls durch den Beschluss der Ermittlungsrichterin in Neubrandenburg sei für die Staatsanwaltschaft nicht bindend. „Die Auffassung, wonach kein Anfangsverdacht einer Störung öffentlicher Betriebe besteht, teilt die Staatsanwaltschaft nicht“, erklärte Oberstaatsanwalt Andreas Lins am Dienstag. Braun, die ihre Arbeitsmittel inzwischen bei der Polizei in Neubrandenburg abgeholt hat, muss folglich weiter mit einer Strafverfolgung rechnen. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens muss die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob die Beweislage ausreichend ist, um Anklage zu erheben. Andernfalls folgt die Einstellung des Verfahrens. Bis es soweit ist, könnten einige Monate vergehen.
Louisa Braun ist nicht die erste Journalistin, die im laufenden Jahr im Zusammenhang mit Umweltprotesten mit Polizei und Staatsanwaltschaft aneinandergeraten ist. Die Journalistengewerkschaft Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) stellte zuletzt bundesweit wiederholte Behinderungen von Pressearbeit durch die Polizei fest. „Die Polizei zielt vereinzelt darauf ab, ordentliche Kameraaufnahmen zu behindern oder Journalisten für die Aktion verantwortlich zu machen“, berichtet etwa Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der dju in Berlin-Brandenburg. Die Polizei reagiere teilweise überfordert und hilflos bei den radikalen und umstrittenen Umweltprotesten.
Am 14. April landete der Reporter Danni Pilger für zweieinhalb Tage im Polizeigewahrsam. Er hatte in Frankfurt am Main an einer Straßenkreuzung eine Aktion der „Letzten Generation“ dokumentiert. Dabei sei eine unbekannte Flüssigkeit verschüttet worden, so Polizeisprecher Manfred Füllhardt auf Nachfrage. Mehrere Radfahrer seien anschließend infolgedessen zu Boden gestürzt. „Danni Pilger hantierte dort mit einem Kanister und filmte die Aktion sowie die polizeilichen Maßnahmen“, berichtet Füllhardt.
Der Journalist bestreitet indes, den Kanister in der Hand gehabt zu haben. Ein Video, das KATAPULT MV vorliegt, beweist, dass nicht Pilger die schwarze Flüssigkeit verschüttete. Der Journalist schildert außerdem, dass die Zeug:innen, die ihn dabei beobachtet haben wollen, erst nach Verschütten der Flüssigkeit am Tatort eingetroffen seien. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen den Journalisten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und fahrlässiger Körperverletzung.
Ein Fall, der dem Brauns ähnlich ist, ereignete sich vor der Corona-Pandemie in Datteln (Nordrhein-Westfalen). Umweltaktivist:innen drangen am 2. Februar 2020 ohne Erlaubnis in das Betriebsgelände des Kohlekraftwerks Datteln IV ein und besetzten unter anderem ein Fördergerät. Vor Ort waren auch einige Journalist:innen, darunter der Fotograf Björn Kietzmann. Dessen Fotos von den Geschehnissen erschienen unter anderem im Spiegel, in der taz und in der Bild.
Am 17. April 2020 erließ das Amtsgericht Recklinghausen einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch. Kietzmann soll 900 Euro Geldstrafe zahlen. Das Polizeipräsidium Recklinghausen sprach zusätzlich ein mehrmonatiges Betretungsverbot aus. Das Verbot richte sich „nicht gegen Herrn Kietzmann als Journalisten, sondern als Störer“, teilte das Polizeipräsidium seinerzeit mit. Allerdings hielt das Verbot einer gerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Während einer Folgeberichterstattung erteilten Polizisten dem Fotografen gleichwohl erneut einen Platzverweis. Gegen den Strafbefehl legte Kietzmann erfolgreich Einspruch ein. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Bochum stellt das Amtsgericht das Verfahren schlussendlich aber wegen geringer Schuld ein.
Transparenzhinweis: In einem früheren Artikel haben wir geschrieben, dass auch Brauns Kamera beschlagnahmt wurde. Das stimmt nicht und haben wir korrigiert.
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