BerlinDen Vergleich mit den Kreuzfahrtschiffen haben die Autoren des „Globalen E-Schrott Monitors 2020“ selbst gezogen. Wie sie vorrechneten, bräuchte man 350 Ozeanriesen von der Größe einer Queen Mary 2, um den Elektroschrott aufzuwiegen, den die Menschheit allein im Jahr 2019 produziert hat: durch ausrangierte Monitore, weggeworfene Handys, entsorgte Kühlschränke und vieles mehr. Noch beeindruckender wäre es, in der Seefahrtsgeschichte etwas weiter zurückzugehen. Man müsste tausend Schiffe der Größe des 1912 untergegangenen Luxusliners Titanic bauen, um ein Gegengewicht für den Elektroschrott des vergangenen Jahres zu haben.
Weltweit kamen 53,6 Millionen Tonnen davon zusammen, heißt es in dem jetzt veröffentlichten Bericht, an dem unter anderem die United Nations University (UNU) mitgeschrieben hat. Seit 2014 nahm die Schrottbergmasse um mehr als ein Fünftel zu. Europa führt dabei die Pro-Kopf-Statistik an, durchschnittlich trug jeder Europäer 16,2 Kilogramm bei. Bei den Deutschen waren es 20 Kilo. Und der Berg wächst weiter. Für das Jahr 2030 werden weltweit 74 Millionen Tonnen erwartet.
In nur 16 Jahren hat sich die globale Elektroschrott-Produktion verdoppelt. Dies ist die Folge der rasanten elektronischen Entwicklung. Immer neue Geräte kommen auf den Markt. Nicht nur Computer und Handys, sondern unzählige Lebenserleichterer und Spielereien. „Das ist der wackelnde Hund, das ist das elektrische Werkzeug für den Garten, das sind intelligente Kleidungsstücke, die den Puls messen“, sagte Rüdiger Kühr, Direktor des Programms für nachhaltige Kreisläufe an der UNU gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Ein immer größerer Teil der Weltbevölkerung könne sich Elektrogeräte leisten. Und viele Geräte hätten nur eine kurze Lebensdauer.
Schaut man sich die reine Menge des Elektroschrotts an, dann sieht man: Der meiste fiel mit 24,9 Millionen Tonnen in Asien an, gefolgt von Amerika mit 13,1 Millionen und Europa mit 12 Millionen Tonnen. Afrika liegt weit hinten mit 2,9 Millionen Tonnen. Der größte Teil wird auf Müllhalden geworfen oder verbrannt. Nur 17,4 Prozent des weltweiten Elektroschrotts wurden im vergangenen Jahr recycelt. In Europa sind es immerhin 42,5 Prozent.
„Elektrogeräte enthalten unheimlich viele wichtige Rohstoffe“, sagte Rüdiger Kühr. „Sie können mehr als die Hälfte des Periodensystems in den meisten Geräten wiederfinden, insbesondere in Smartphones.“ Zu den Materialien gehören Gold, Silber, Kupfer, Platin und sogenannte Seltene Erden. Mit dem Schrott landeten allein im vergangenen Jahr Materialien mit einem Schätzwert von 50 Milliarden Euro auf dem Müll. Und zugleich viele gefährliche Stoffe, unter anderem hochgiftiges Quecksilber.
Auch in Deutschland könnte man wesentlich mehr tun. Zwar landet hier ein Großteil der Altgeräte in den Reycling-Zentren und Fachmärkten. Aber vieles wandert auch einfach in den Müllcontainer oder wird irgendwo abgestellt. Unzählige Kühlschränke und Waschmaschinen findet man einfach im Wald. Dahinter könne „nur Ignoranz oder mangelndes Wissen“ stecken, sagte Rüdiger Kühr. In anderen Umweltbereichen, etwa beim Plastikmüll, habe es hierzulande bereits ein Umdenken gegeben. „Ich würde mir wünschen, dass das ähnlich auch für Elektroschrott alsbald passiert“, so Kühr. „Weil wir sonst wirklich auf eine ganz große Krise zulaufen.“ Der Mitautor des Elektroschrott-Monitors schlägt unter anderem vor, Anreize zu schaffen wie Gutscheine oder Verbilligungen bei neuen Geräten, wenn man die alten abgibt.
Ein großes Problem ist die kostengünstige und umweltschonende Wiedergewinnung der wertvollen Materialien. Erst jüngst haben Forscher ein neues Verfahren vorgestellt, mit dem man Edelmetalle aus Elektroschrott zurückgewinnen kann, vor allem Gold. Die Methode funktioniere auch, wenn mehr als 60 Metalle in einer Lösung durchmischt seien, wie etwa bei aufgelösten Leiterplatten, berichteten die Forscher im Fachjournal PNAS. Entwickelt wurde das Verfahren in einem Institut im südkoreanischen Daejeon unter Leitung des Chemikers Cafer Yavuz. „Obwohl Leiterplatten mehr Edelmetalle enthalten als die Erze in Bergwerken, werden 80 Prozent dieser Abfälle immer noch auf Deponien verbracht“, schreiben die Autoren. Der Hauptgrund sei, dass es keine ertragreichen Rückgewinnungsverfahren gebe, die ohne Cyanid - also Blausäure - auskämen.
Yavuz und Kollegen setzen dagegen auf ein hochporöses Polymer - also einen Kunststoff - aus Porphyrinen. Diese Porphyrine spielen zum Beispiel in verschiedenen Prozessen des menschlichen Körpers eine wichtige Rolle. Zu ihnen gehören die sogenannten Häme, eine Stoffgruppe, die für den Transport des Blutsauerstoffs durch die Adern sorgt. Die Häme besitzen Eisenatome und sind im roten Blutfarbstoff Hämoglobin gebunden. Für das entwickelte chemische Verfahren ist genau das entscheidend: dass die Stoffklasse der Porphyrine Metallatome binden kann. Um diese Eigenschaft bei der Wiedergewinnung von Metallen aus Elektroschrott zu nutzen, entwickelten die Forscher einen eigenen künstlichen Porphyrin-Stoff und nannten ihn COP-180.
Es gelang ihnen, aus einer Lösung mit 63 Metallen vor allem Gold und Platin zu gewinnen. Innerhalb einer halben Stunde banden sich 99 Prozent der Goldionen an das Polymer. Bei Platin waren es 77,4 Prozent in 24 Stunden. Die Lösung selbst bestand aus sogenanntem Königswasser, einem Gemisch aus Salz- und Salpetersäure, sowie dem Polymer COP-180. Die Forscher errechneten, dass die benötigten Chemikalien etwa fünf US-Dollar pro Gramm kosteten, während das damit gewonnene Gold etwa 64 US-Dollar einbringen würde. Außerdem könne auch das Polymer recycelt werden.
In einem Kommentar zu der Studie bezeichnete der Forscher Klaus Opwis die Recyclingmethode als „sehr vielversprechenden Ansatz“. Opwis hat mit einer Arbeitsgruppe am Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West in Krefeld selbst ein sogenanntes Adsorbertextil entwickelt, mit dem sich wertvolle Edelmetalle wie Platin, Gold, Silber oder Palladium aus wässrigen Lösungen zurückholen lassen. Der Effekt liegt aber deutlich unter den Metallgewinnungsraten der Koreaner.
Kritik gibt es auch. Der Recycling-Experte Daniel Goldmann von der Technischen Universität Clausthal in Clausthal-Zellerfeld hält die Studie zwar für wissenschaftlich „nicht uninteressant“, erkennt aber keinen Ansatz für eine Umsetzung im großen Maßstab. „Den kompletten E-Schrott in Königswasser zu geben und aus der entstehenden Lösung Gold zu extrahieren, finde ich im Hinblick auf eine industrielle Umsetzung doch sehr gewagt“, sagte er. Andere verweisen darauf, dass das Verfahren mit dem Polymer COP-180 nur bei Metall-Lösungen sinnvoll sei, die ohnehin in der Industrie entstünden. Für feste Materialien sollte man weiter Schmelzöfen einsetzen. In ihnen könnten bereits jetzt viele Metalle zurückgewonnen werden. Eine Hamburger Kupferhütte rettet auf diese Weise zum Beispiel neben Kupfer auch Gold, Silber und Nickel. Die einzelnen Metalle werden elektrochemisch voneinander getrennt. Ein großes Problem sind jene Elemente, die nur in ganz geringen Mengen in Geräten vorkommen, zum Beispiel in Handys. Dazu gehören die äußerst wertvollen und teuren Seltenen Erden. Fachleute nennen sie deshalb Gewürzmetalle. Man könnte sagen, sie sind das, was der Pfeffer im Mittelalter war. (mit dpa)
July 05, 2020 at 11:23AM
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Der Elektroschrott des vergangenen Jahres wiegt tausendmal die Titanic auf - Berliner Zeitung
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