Die Bayreuther Festspiele galten jahrelang als eine der letzten Bastionen des Konservatismus im Land. Doch jetzt lässt Deutschlands berühmtestes Opern-Festival zum ersten Mal in seiner 145-jährigen Geschichte eine Frau ans Dirigentenpult. Oksana Lyniv, 43 Jahre alt, geboren in der Ukraine, soll auf den am 25. Juli nach einem Jahr Corona-Pause wieder beginnenden Festspielen die Oper »Der fliegende Holländer« interpretieren.
Intendantin Katharina Wagner, Urenkelin des Komponisten Richard Wagner, blickt erwartungsvoll auf das Festival, nachdem sie zuletzt schwer an einer Lungen-Embolie erkrankt war: »Das Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen«, sagt sie nun.
Sie freue sich darauf, »wie Frau Lyniv die herausfordernde Aufgabe hier im besonderen Bayreuther Orchestergraben meistern wird«. Auf die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis in Bayreuth auch eine Frau dirigieren darf, sagte Wagner in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa: »Weil es offenkundig nicht genug Dirigentinnen gab.« Wie sie zu dieser Einschätzung kommt, bleibt allerdings unklar.
Katharina Wagner: Offenkundig nicht genug Dirigentinnen?
Foto: Nicolas Armer / dpa / picture allianceInzwischen scheint Wagner jedoch nicht nur wieder genesen – sie lag mehrere Wochen im Koma –, sondern auch mutig für noch mehr Moderne auf dem grünen Hügel zu sein. So verpflichtete die 43-Jährige für das Bühnenbild der »Walküre« den österreichischen bildenden Künstler Hermann Nitsch. Mit seinen Werken hatte der Aktionskünstler immer wieder für Furore gesorgt, so verwendete er für seine Schüttbilder etwa echtes Blut, für »Die Blutorgel« kreuzigte und weidete der heute 82-Jährige ein Lamm aus.
In den Augen von Wagner, die seit 2008 die Festspiele leitet, handelt es sich bei Nitsch um »einen herausragenden bildenden Künstler«, der sich mit dem Engagement einen Wunsch erfülle. »Es war unser Wunsch, in diesem pandemiebedingt ringfreien Jahr dennoch nicht nur auf einen Ring zu verzichten. Durch Auftragswerke in verschiedenen Kunstrichtungen werden alle Teile des ›Ring des Nibelungen‹ gespiegelt, kommentiert, fortgeschrieben oder neuartig erlebbar gemacht.«
Nur halbe Gästeanzahl
Dass zu viel Aufbruch dem oft noch konservativen Festspiel-Publikum mitunter zu viel ist, hatte 2019 jedoch die schwarze Dragqueen Le Gateau Chocolat erfahren müssen. Der Travestiekünstler war in der »Tannhäuser«-Inszenierung von Tobias Kratzer aufgetreten – und hatte dafür Buhrufe aus dem Publikum kassiert. Trotz dieses Spagat sagt Wagner in dem dpa-Interview: »Ich finde die Inszenierung hervorragend und ja, Oper muss und soll divers sein.« Kratzers Inszenierung rege zum Nachdenken an – »so soll es auch sein«.
Travestiekünstler »Le Gateau Chocolat« bei einer Performance vor dem Festspielhaus 2019
Foto: Tobias Hase / dpa / picture allianceWer sehen möchte, was Wagner und ihr Team dieses Jahr präsentieren, sollte sich beeilen. Denn die Festspiele fallen pandemiebedingt deutlich kleiner aus: Nur 911 Festspielgäste und damit rund die Hälfte der üblichen Zuschauerzahl dürfen voraussichtlich dabei sein. Der Vorverkauf beginnt diesen Sonntag.
Da die Coronakrise auch in die Kasse der Festspiele ein großes Loch gerissen hat, werden die Gesellschafter – die Bundesrepublik, der Freistaat Bayern, die Stadt Bayreuth und die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth – einspringen müssen. 2020 fehlten rund 15 Millionen Euro.
Für das Festival gibt es allerdings auch noch weitere Herausforderungen: Nachdem Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) zum Jahreswechsel angekündigt hatte, sich die Strukturen vornehmen zu wollen, hat der Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung nach Angaben Wagners nun einen Arbeitskreis zur Reform der Satzung der Richard-Wagner-Stiftung wiederbelebt.
Mit welchen Punkten die Arbeitsgruppe sich beschäftigen soll, ließ Katharina Wagner offen. Der »Augsburger Allgemeinen« sagte sie nur so viel: »Ich unterstütze Frau Staatsministerin Grütters ausdrücklich darin, bestehende Strukturen den heutigen Erfordernissen anzupassen.«
Aus Sicht von Katharina Wagners Cousine Daphne Wagner ist die Satzung der Richard-Wagner-Stiftung veraltet und muss überholt werden. Das sagte die 74-Jährige dem »Nordbayerischen Kurier«. Sie sprach von einem langwierigen Prozess.
Die Richard-Wagner-Stiftung wurde 1973 errichtet und ist Eigentümerin des Festspielhauses. Sie wählt auch den Festspielleiter. Die Arbeitsgruppe, die nun die Satzung auf den Prüfstand stellen soll, gebe es bereits seit 2007, sagte Katharina Wagner. Sie sei also nicht neu, habe aber seit damals nicht mehr getagt.
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