»Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte, hast keine verfallenen Schlösser und keine Basalte«, weshalb wir, wie Goethe vor uns, nur verstohlen hinüberspähen können über den Ozean, um all die Wunder zu schauen, die dort zum Alltag gehören. Das neueste Inbild all dessen, was bei unbegrenzten Möglichkeiten alles zu verwirklichen ist, lieferte am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, Mark Zuckerberg.
Auf seinem offiziellen Instagram-Account veröffentlichte der Gründer von Facebook ein kurzes Video, das vor Lebenslust und Optimismus nur so sprüht.
Zu sehen ist der 37-Jährige im Neoprenanzug, wie er auf einem elektrisch betriebenen Surfbrett förmlich über den Wassern schwebt und dabei eine US-Flagge in den Fahrtwind hält. Gefilmt wird er von einem Motorboot aus, dessen tückische Heckwellen er mit neckischem Hüftschwung auszubalancieren versteht.
Sein Blick ist geradeaus, vermutlich in die Zukunft gerichtet. Das Ufer des Gewässers selbst, der Lake Tahoe zwischen Nevada und Kalifornien, ist von teuren Immobilien gesäumt, wie er selbst eine besitzt. Altes Amerika, neues Geld. Über den bewaldeten Wipfeln legt die Sonne sich zur Ruhe, ihre Strahlen tauchen die Wolken in malerisches, wenngleich fahles Rosa, aus der Ferne grüßt Thoreau mit »Walden«.
Technik und Natur sind hier aufs Zärtlichste umschlungen. Von Zuckerberg selbst geht meditative Ruhe, sportliche Konzentration – und ein unverkrampfter Patriotismus aus, wie er einem Nationalfeiertag gebührt. Die Botschaft unter dem Clip scheint schlicht, fast bescheiden: »Happy July 4th!«.
Tatsächlich enthält das Video mehr Zeichen, als ein gewöhnliches Gehirn auf Anhieb entschlüsseln könnte. Fortwährend kippt es vom Lächerlichen ins Erhabene und zurück, bis es beim rechtschaffenen Pathos dann doch einrastet. Es ist genau so gemeint, wie es aussieht.
Reines Gleiten
Es zeigt, welche Kraft der Idee innewohnen kann, ein Programm zur öffentlichen Bewertung des Aussehens von Frauen (die ursprüngliche Idee von Facebook) zu programmieren, wenn man ihr nur Gelegenheit zum ungestörten Wachstum gibt. Ein wenig erinnert die Pose an das Gemälde »Die Freiheit führt das Volk« von Eugène Delacroix, nur dass ihm das Volk nicht aufs Wasser folgen kann, sondern lediglich auf Facebook und Instagram: »'Murica, fuck yeah!«.
Es zeigt, wie sehr ein Mensch sich freuen kann, wenn alle kartellrechtlichen Bedenken zerstreut sind und sein Reichtum deshalb binnen wenigen Tagen um einen Faktor wächst, der den vieler Volkswirtschaften weit hinter sich lässt. Allein in der Minute, die er sich auf dem Brett hält, ist sein Vermögen um schätzungsweise 70.000 Dollar gewachsen.
Es zeigt, dass auch einer der reichsten und einflussreichsten Männer der Welt im Grunde noch ein Kind ist, mindestens ein Jugendlicher, der Vergnügen an den simplen Segnungen der Elemente hat: Wind, Wasser und der eigene Körper. Er bezwingt nichts, bändigt nichts, erreicht nichts, geht nicht einmal eine Gefahr ein. Reines Gleiten.
Mögen andere US-amerikanische Hyperreiche sich, wie Bösewichte aus »Moonraker«, einen Wettlauf ins Weltall liefern – »Zuckerberg« bleibt mit beiden Beinen zwar nicht auf dem Boden, sondern auf dem Wasser. In der Geste liegt messianische Verheißung, in ihrer Ausführung eine gewisse sexuelle Spannung. Es ist wie ein »Avengers«-Film, auf 60 Sekunden eingedampft.
In seiner Absurdität unparodierbar
Eine unwiderstehliche Mischung, wie gemacht für die sozialen Netzwerke. Genau dafür wurde die Vorstellung auch gegeben, sorgsam kuratiert und choreografiert vom Instagram-Team des Instagram-Besitzers. In seiner Absurdität ist es, obwohl ernst gemeint, unparodierbar. Ein schwankendes Bündel aus Zeichen, das auf nichts verweist als auf sich selbst – nicht einmal auf Mark Zuckerberg. Eher auf die USA und ihren nationalstolzen Exzeptionalismus.
Hiesigen Superreichen fehlt leider das Sendungsbewusstsein. Sie sind keine Vorbilder, sie produzieren überhaupt keine Bilder. Wie fühlen sie sich, wovon träumen sie, was davon machen sie wahr? Wir wissen es nicht. Wie Mauerwinkelspinnen verharren sie hinter schweren Geldschränken und scheuen das Licht der Öffentlichkeit. Weil sie ihr Glück nicht teilen, kann man sich auch nicht mit ihnen freuen. So gedeihen Argwohn und Neid. Ein Teufelskreis.
In Deutschland haben wir immerhin einen Teufelskerl wie Frank Thelen. Finanziell ist der Investor zwar ein vergleichsweise flackerndes Teelicht. Er sitzt auch lieber im Fernsehen herum und tut visionär, statt am Steuer einer Mondrakete zu beeindrucken. Dafür wissen wir von ihm, wie er sich fühlt, wovon er träumt, was davon er wahr macht. Er fühlt sich durch Linke und Grüne bedroht und spendet der FDP 500.000 Euro, eine entsprechende Regierung zu verhindern.
Amerika, du hast es besser.
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