Die Regeln des Duells sind klar: Keine durch Hexerei manipulierten Waffen. Keine Einflussnahme von anderen Teilnehmern. Und wer am Ende noch lebt, gewinnt. In diesem Fall bedeutet das für den Gewinner auch: Er hat die Wahrheit gesagt, und Gott hat es bezeugt; denn wir befinden uns im Dezember 1386, und am Pariser Hof wird der letzte Gerichtskampf Frankreichs ausgetragen.
Doch bevor klar wird, wer unter den Streitparteien hier wen belogen haben könnte, stellt Regisseur Ridley Scott in seinem „Last Duel“ zunächst einmal die Ritter vor, die einander später mit Lanzen, Schwertern und Dolchen bis aufs Blut bekämpfen werden: erstens Jean de Carrouges (Matt Damon mit pockennarbigem Gesicht), der tapfer einen Feldzug nach dem anderen führt, da er zwar einen Titel, aber kaum Geld hat, und zweitens Jacques Le Gris (Adam Driver), dem de Carrouges das Leben rettet, woraus aber keine Freundschaft wird. Denn die beiden Ritter könnten unterschiedlicher nicht sein. Jean ist aufbrausend, besteht auf seinen Geburtsprivilegien und zieht, was er sich vorgenommen hat, mit zähem Willen und größter Sturheit durch. Bei einer Schlacht wird er seinen Mitstreitern im Hagel brennender Pfeile verwundert zurufen: „Warum rennt ihr davon?“, um dann den Angriff auf die feindlichen Bogenschützen anzuführen.
Jacques hingegen ist ohne Namen oder Reichtum zur Welt gekommen und sollte eigentlich in den Dienst der Kirche treten. Er nahm deren Bildung mit und beschloss, daraus Profit zu schlagen. Im Dienst des Fürsten Pierre d’Alençon (Ben Affleck mit blondiertem Haar und flamboyanten Samtkostümen) rechnet er Steuersätze aus und treibt Abgaben ein – beim neuen Herrn aber viel wichtiger: Er verträgt viel Wein und jagt Damen durchs Schlafzimmer. Für seine Treue erhält er Ländereien und Titel.
Eine dieser Ländereien aber gehört zur Mitgift einer schönen jungen Frau, die wiederum Jean zur finanziellen Absicherung heiratet. Damit beginnt der Streit der beiden Männer, der am Ende in sexueller Gewalt gegen die Frau eskaliert. Zumindest ist das die Version der Geschichte, die Jean de Carrouges erzählen würde. Aus Jacques’ Perspektive klingt vieles anders – und zum Dritten gibt es noch die Sichtweise der Dame, die alles in ein wiederum ganz anderes Licht rückt.
Jede Figur bekommt ein eigenes Kapitel
Ridley Scott, der mit Science-Fiction-Filmen wie „Alien“ und „Blade Runner“ berühmt wurde, hat schon früher historische Stoffe bearbeitet („Gladiator“, „Exodus“), die Filme, die dabei herauskamen, sind eher für ihre großen Schlachtszenen und weniger für ausgefeilte Schauspielführung bekannt. „The Last Duel“ dagegen ist so wirkungsstark wie komplex. Scott scheint sich Akira Kurosawas „Rashomon – Das Lustwäldchen“ (1950) zum Vorbild genommen zu haben. Wie der japanische Regisseur geht auch Scott einem Verbrechen nach, das jeweils aus der Perspektive eines anderen Zeugen erzählt wird. Eingebettet in die Rahmenhandlung des Duells, gewährt Scott jedem der drei Beteiligten ein eigenes Kapitel, das mit den Worten „Die Wahrheit aus Sicht von . . .“ eingeleitet wird. Steht in Jeans Erzählung die Eigentumsfrage und das Recht auf Respekt im Vordergrund, so handelt Jacques’ Geschichte von der Liebe zu einer schönen Frau und dem (seiner Meinung nach) einvernehmlichen Nachgeben bei Versuchung.
Das dritte Kapitel erst ist der heimlichen Hauptfigur gewidmet: Lady Marguerite (Jodie Comer), die während des Kampfes in Fesseln auf dem Schlachtplatz anwesend ist und um deren Leben im mehr als körperlichen Sinn hier gekämpft wird. Wo Kurosawa mit Sprüngen über Bildachsen und unerwarteten Blickwinkeln den Zuschauern bereits zu Beginn klarmacht, dass sie dem Gezeigten nicht restlos glauben dürfen, hat Scott die Erzähltechnik rundum modernisiert. So bricht er in Jacques’ Minne-Erzählung von Liebe und Begehren durch eine grobkörnige Handkamera die sonst in klaren Bildern vorgetragene Erzählung, entpuppt so eine nächtliche Stelldichein-Szene als feuchten Traum des jungen Mannes und streut damit Zweifel, wie viel günstige Zeichen er wohl ins höfliche Verhalten der mit seinem Konkurrenten verheirateten Frau hineingedeutet hat.
Durch winzige Momente, in denen sich Szenenkonstellationen wiederholen und doch nicht identisch ablaufen, stellt Scott die Frage nach der Wahrheit. So wirft Marguerite etwa auf der Flucht ins Schlafzimmer mal spielerisch ihre Slipper auf den Treppenstufen ab, mal fallen sie ihr in Panik von den Füßen. Das Detail spielt in den späteren Ermittlungen keine Rolle, ist nur Markierung für die Wahrheitssuche des Publikums. Deutlich wird das beim Jagen und Aufs-BettWerfen einer Frau. Das wird mal als sexuelles Vorspiel während eines höfischen Festes gezeigt, mal als Akt männlicher Eroberungskunst und mal – aus der Sicht der Frau – als gewaltsam aufgezwungener Sex.
Was „The Last Duel“ dabei gelingt, ist ein sehr zeitgemäßer Kommentar zum Problem der Anhörung, zur Frage des Aushaltens verschiedener Sichtweisen. Es besteht kein Zweifel, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hat, sonst stünde die Frau am Ende nicht in Fesseln auf dem Schlachtfeld für ihre Aussage ein, wovon ihr selbst die Schwiegermutter abgeraten hat („So ist es uns allen ergangen, man erträgt das einfach und macht weiter“). Was vielmehr durch die drei unterschiedlichen Perspektiven gelingt, ist ein Einblick in die sozialen Verhältnisse, die zum Duell führen. Die Erzählungen der beiden Ritter entfalten Männlichkeitsbilder und entblößen die Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat.
Fulminant inszenierte Kampfszenen lässig abgehakt
So stellt Jacques’ Erzählung die Frage, wie eine Kultur, in der die „minnigliche“ Anbetung einer verheirateten Frau als höchster Ausdruck von Ritterlichkeit gilt, mit den realen Machtverhältnissen vereinbar ist, in denen Frauen nicht als Individuen agieren dürfen und Männern wie ein Gut zur Verfügung stehen. Jeans Geschichte wiederum erzählt auch vom Ehrgeiz, der fast modern wirkt, aber vergeblich ist, weil König und Fürsten debile und dekadente Kreaturen sind, deren Geburtsprivilegien ihnen zwar Macht, aber keinen Funken Verstand mitgegeben haben. Wohingegen Marguerite von der Suche einer gebildeten Frau nach einem würdevollen Leben in einer Welt berichtet, die für sie nur den Platz als hübsche Dekoration und Wertpfand vorgesehen hat.
Scott findet mit „The Last Duel“ zu alter Größe zurück. Dass er von fulminant inszenierten Kampfszenen etwas versteht, hakt er mit der lässigen Geste des Großmeisters ab. Dass er Schauspielführung beherrscht, zeigen Affleck und Damon in Wortgefechten, bei denen sie so gut sind wie seit Jahren nicht mehr. Vor allem aber traut Scott dem Publikum zu, in ästhetischen Entscheidungen moralische und sozialkritische Behauptungen zu lesen und selbst zu beurteilen. Man möchte sich diesen Film sofort noch einmal ansehen – wie oft passiert das im Kassenkino noch?
Artikel von & Weiterlesen ( Das Schwert im Herzen - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/3FK3rnG
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