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Nach Tod einer Kamerafrau: Experte mit möglicher Theorie zu Alec-Baldwin-Drama - watson

Die Arbeit am Film "Rust" sind vorerst eingestellt worden.

Die Arbeit am Film "Rust" sind vorerst eingestellt worden.

Bild: ap / Jae C. Hong

Analyse

27.10.2021, 19:16

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Hollywood steht nach einem tödlichen Zwischenfall am Set des Westernfilms "Rust" noch immer unter Schock. Nach bisherigen Erkenntnissen soll der Hauptdarsteller Alec Baldwin bei den Dreharbeiten in Santa Fe versehentlich die Kamerafrau Halyna Hutchins mit einer Requisitenwaffe erschossen und den Regisseur Joel Souza verletzt haben.

Alec Baldwin erschoss nach jetzigen Kenntnissen am "Rust"-Filmset versehentlich eine Kamerafrau.

Alec Baldwin erschoss nach jetzigen Kenntnissen am "Rust"-Filmset versehentlich eine Kamerafrau.

Bild: ap / Seth Wenig

Im Fokus der Ermittlungen steht momentan der Regieassistent Dave Halls, der Baldwin die scharfe Waffe mit den Worten "Cold Gun" überreicht haben soll, was bedeutet, dass die Waffe nicht geladen sein sollte. Halls habe nach Angaben der Polizei nicht gewusst, dass die Waffe aber tatsächlich mit scharfer Munition geladen war. Außerdem wird gegen die Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed ermittelt. Die 24-Jährige war während des Filmdrehs für die Sicherheit mit dem Umgang der Requisitenwaffen verantwortlich.

Bislang ist nicht bekannt, wie es zu dem tödlichen Versehen kommen konnte, derzeit wird noch ermittelt, ob tatsächlich scharfe Munition im Einsatz war und inwiefern auch unsichere Arbeitsbedingungen beim "Rust"-Dreh eine Rolle am Todesschuss gespielt haben könnten.

Watson sprach unter anderem mit dem Büchsenmacher und Waffenmeister Oliver Rasch, dem Professor für den Studienschwerpunkt VFX / Virtual Environments Professor Alexander Pohl von der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf sowie mit dem Ausbilder Ferdi Sezer von der Sicherheitsinstitution-Berlin (SIB). Dort werden Schauspielerinnen und Schauspieler im professionellen Umgang mit Schusswaffen weitergebildet. Durch die Experteneinschätzungen wird klar, dass es in Deutschland entscheidend andere Sicherheitsvorkehrungen als in den USA gibt, die einen ähnlichen Fall wie den von Baldwin nahezu unmöglich machen.

Welche Waffen kommen in Deutschland an Sets zum Einsatz?

Zunächst stellte der Waffenmeister Rasch fest, dass in Deutschland in den meisten Fällen Waffenattrappen zum Einsatz kommen, aber auch scharfe Waffen. Der Unterschied besteht im Munitionseinsatz: "Wenn mit den scharfen Waffen geschossen wird, kommen Platzpatronen hinein, genau wie in die klassischen Platzpatronen-Waffen auch. Oftmals sind die Waffen nur im Bild und meistens passiert gar nichts mit den scharfen Waffen, es wird nicht mal ein Platzpatronen-Schuss abgegeben." Aber, so fügt er hinzu:

"Was komplett ausgeschlossen ist, ist scharfe Munition und der scharfe Schuss am Set, das gibt es in Deutschland nicht, das wäre auch nicht zulässig."

Sezer von der Sicherheitsinstitution-Berlin erklärt ergänzend: "Die Filmindustrie setzt bei Dreharbeiten, je nach Projekt und Umfang der Produktion, überwiegend Softair-Pistolen ein, da diese aus der Entfernung oft nicht von scharfen Modellen, denen diese nachempfunden werden, zu unterscheiden sind." Echte Schusswaffen, die ebenfalls neben Schreckschusswaffen zum Einsatz kommen, werden durch einen Büchsenmacher unbrauchbar gemacht: "Der Vorgang muss der Behörde durch diverse Nachweise gemeldet werden. Damit bestünde die Möglichkeit, eine augenscheinlich echte Waffe am Set zu verwenden, von der jedoch technisch keine Gefahr mehr ausgeht."

Fans und Familie trauern um die verstorbene Kamerafrau Halyna Hutchins.

Fans und Familie trauern um die verstorbene Kamerafrau Halyna Hutchins.

Bild: ap / Andres Leighton

Scharfe Munition komme auch laut Sezer niemals zum Einsatz – es gebe aber durchaus Situationen, in denen nicht mit leeren Magazinen gearbeitet werden könne, beispielsweise, wenn ein Schauspieler in einer Action-Szene das Magazin wechseln muss. Aber auch die dabei zum Einsatz kommenden Patronen seien zuvor immer unbrauchbar gemacht worden.

Hierzu erklärt der Ausbilder: "Eine sichere Möglichkeit, diese Szene realistisch umzusetzen, ohne dass jemand in irgendeiner Form gefährdet wird, besteht darin, echte Patronen durch Entfernen der Treibladung 'Nitrocellulose' und das Entfernen der Zündhütchen auf der Rückseite unbrauchbar zu machen. Somit wird aus einer echten Patrone ein Dummy, von der keine Gefahr mehr ausgeht."

Sicherer Umgang mit Platzpatronen und Schreckschusswaffen am deutschen Set

Häufig kommen jedoch auch Schreckschusswaffen zum Einsatz, die mit Platzpatronen geladen werden – von diesen können jedoch auch ernsthafte Verletzungen beim falschen Umgang ausgehen. Es herrschen deswegen am Set spezielle Sicherheitsvorkehrungen, eine davon sei, dass jede Waffe "ohne wenn und aber als geladen und potenziell gefährlich betrachtet und eingestuft" wird, und, wie Sezer weiter ausführt:

"Aussagen wie: 'Hier nimm mal, die Waffe ist ungeladen', finden keine Anwendung."

Auch müssen besondere Dinge zum Lauf der Waffe stets beachtet werden: "Die Waffe und der Lauf überstreifen nur, was beschossen werden soll. Dies bedeutet, dass der Schütze, sowie er die Waffe aufgenommen hat, die Mündung kontrollieren muss und niemanden mit dieser überstreifen darf."

Außerdem darf der Finger des Schützen nur "lang am Abzug bleiben". Das heißt, dass der schießende Schauspieler warten muss, bis eine Szene vorbereitet ist, um nicht unbeabsichtigt einen Schuss abzugeben. Erst dann darf er "langsam und kontrolliert den Finger zum Abzug führen und abkrümmen (den Schuss brechen lassen)."

Bei der Sicherheitsinstitution werden Schauspielerinnen und Schauspieler für den Umgang mit unter Anderem Waffen-Attrappen sensibilisiert.

Bei der Sicherheitsinstitution werden Schauspielerinnen und Schauspieler für den Umgang mit unter Anderem Waffen-Attrappen sensibilisiert.

Bild: Sicherheitsinstitution-Berlin

Das zu beschießende Ziel müsse darüber hinaus als "beschießbare Zone" eingestuft werden: "Um dies auszumachen, muss der Schütze überprüfen, was sich davor, dahinter, links und rechts vom Ziel befindet", heißt es im Statement von der SIB.

Rasch als Waffenmeister führt weitere Vorkehrungen gegenüber watson aus. Er sei für die Aufnahmen zuständig, in denen die Waffe vorkommt, seine Aufgaben bestehen unter anderem im Briefing der Schauspieler im Umgang der Waffe am Set, aber auch dem Schutz der restlichen Crew: "Wenn wir den eigentlichen Schuss betreuen, dann wird darauf geachtet, dass das gesamte Team einen Gehörschutz trägt, insbesondere diejenigen, die sich im direkten Umfeld der Waffe aufhalten. Im Bereich der Schutzmündung wird eine Schutzbrille getragen. Die Kamera, die Technik wird nochmal geschützt, der Kameramann wird nochmal geschützt, eventuell der Schärfenzieher, der in unmittelbarer Nähe steht."

Der schießende Schauspieler trägt zudem stets einen In-Ear-Schutz, bei Dreharbeiten in Städten wird vor Abgabe des Schusses zudem noch einmal sehr laut auf den Schuss hingewiesen und die Polizei im Vorfeld informiert.

Bei Filmproduktionen, an denen Rasch als Waffenmeister beteiligt war, kam es bislang nur zu kleineren Zwischenfällen. So habe jemand aus der Crew seinen Hörschutz nicht aufgehabt. Ein anderes Mal sei eine Patronenhülse in die Richtung eines Crewmitgliedes geflogen: "Das hatte aber keine Verletzung zur Folge, das war dann eher ein Erschrecken. Eine Verletzung in dem Sinne, durch eine Schusswaffe, habe ich noch nicht erlebt", bekräftigt der Waffenmeister, der seit 20 Jahren an Filmsets arbeitet und seit 35 Jahren als Büchsenmacher.

Waffenmeister müssen auch in Deutschland nicht zwingend am Filmset sein

Wichtig sei immer der gewissenhafte Umgang mit Waffen, auch, wenn es sich um eine täuschend echte Nachbildung handelt: "Jede Waffe; egal ob Schreckschuss, Bluegun, oder Softair; ist immer und ohne Ausnahme, als echte Schusswaffe und als potentiell gefährlich zu betrachten", betont Sezer zusätzlich.

Zwingend vom Gesetzgeber vorgeschrieben sei es jedoch nicht, dass Waffenmeister am Set einer Serie oder eines Films anwesend seien, wie Rasch erklärt: "Eine Produktion hat durchaus die Möglichkeit, sich selbst Gasschreckschuss-Pistolen zu kaufen und kann diese dann selbst am Set beaufsichtigen. Das passiert auch schon mal, dann werden die Requisiteure miteingebunden." Oftmals fehle aber hier die Fachkompetenz, eine Waffe sei eben eine besondere Requisite.

Baldwin hat nach dem Vorfall alle weiteren Filmprojekte bis auf Weiteres abgesagt.

Baldwin hat nach dem Vorfall alle weiteren Filmprojekte bis auf Weiteres abgesagt.

Bild: Getty Images North America / Mark Sagliocco

Die SIB legt deswegen besonderes Augenmerk auf die Aus- und Weiterbildung von Filmschaffenden: "Damit diese die notwendigen Handlungsgrundlagen und Kompetenzen erlangen, um Gefahren am Set zu erkennen, zu entschärfen und vor allem auch die Ladezustände an Schusswaffen, unter Beachtung der Sicherheitsregeln, eigenständig zu überprüfen."

Experte äußert mögliche Theorie

Ein Problem bestehe unter anderem auch darin, dass der Begriff "Waffenmeister" nicht geschützt ist und das berge auch eine gewisse Gefahr in sich. Und dennoch hält Rasch eine Wiederholung des Baldwin-Unfalls in Deutschland für unwahrscheinlich: "Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist, die Informationen sind noch sehr, sehr schwammig. Aber das, was wir bis jetzt wissen, nämlich, dass irgendwo scharfe Munition in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt hat, das würde es am deutschen Set nicht geben."

Es könnte ihm zufolge dadurch zum Unfall gekommen sein, weil vergessen wurde, scharfe Munition zu entfernen. Eine andere Möglichkeit für eine Fehlzündung könnte zudem durch ein Geschoss gegeben gewesen sein, das sich noch im Lauf befunden hat und durch eine Platzpatrone herausgeschossen wurde – oder eben eine scharfe Waffe fälschlicherweise mit echter Munition geladen war.

Zeitdruck herrsche im Umgang mit Waffen bei Produktionen nicht

Offenbar arbeiteten alle Beteiligten in den USA bereits lange an dem Filmprojekt, einige Angestellte hätten kurz vor dem Unfall wegen schlechter Arbeitsbedingungen gekündigt. Hierzulande gebe es laut dem Waffenmeister in den meisten Fällen Verständnis dafür, dass Stunts mit oder ohne Waffen und Pyrotechnik Zeit in Anspruch nehmen:

"Man nimmt sich schon die Zeit. Jeder ist so weit Profi, dass er sich nicht treiben lässt. Jeder weiß, seine Arbeit ist wichtig und muss präzise durchgeführt werden. Ich kenne keinen Kollegen, der sich durch andere so treiben lässt, dass dadurch ein Unfall passieren könnte."

Allerdings, so fügt Rasch auch an, kenne er "keine Kollegin und keinen Kollegen unter Mitte zwanzig. Junge Menschen sind auch etwas beeinflussbarer, vielleicht wurde sie auch etwas getrieben, aber man weiß es nicht." Zur Erinnerung: Die für "Rust" verantwortliche Waffenmeisterin ist 24.

Könnte auf scharfe Waffen verzichtet werden?

In der Frage nach der Notwendigkeit von Schusswaffen in Filmproduktionen, seien es Schreckschuss- oder Softair-Varianten, zeigten sich Rasch und das SIB weitestgehend einig – sie seien aus Filmen nicht mehr wegzudenken. Im Rahmen der schauspielerischen Ausbildung im Umgang mit Waffen sei deswegen eine Sensibilisierung für die Gefahren unabdingbar.

Eine Möglichkeit wäre zudem, dass auch Platzpatronen nicht mehr zum Einsatz am Set kommen könnten – und in der Post-Produktion Geräusche und sichtbare Erkennungsmerkmale eines Schusses nachträglich eingefügt werden. Das sieht Rasch jedoch kritisch: "Es geht sehr viel verloren, auch an unmittelbarer Stimmung, was sehr wichtig ist, auch bei der Umsetzung des Films. Und wir müssen uns vor Augen halten: Unfälle passieren immer, es werden auch noch weitere Unfälle sicherlich in Zukunft passieren. Wir müssen gewährleisten, dass wir diese Unfälle professionell aufarbeiten, um dies zu verhindern."

Dem stimmt auch Alexander Pohl zu, der als VFX-Artist für visuelle Effekte zuständig und zudem als Production Designer tätig ist. Er sagt watson: "Es ist einfach besser nachvollziehbar, wenn es knallt, worauf ein Schauspieler reagieren kann. Wenn es eine Waffe am Set gibt, bei der es einfach nur Klick macht, sieht es einfach nicht so authentisch aus." Technisch sei freilich alles machbar in der Nachbearbeitung, allerdings sei es sinnvoller und "echter", wenn lediglich ein Platzpatronen-Schuss nachträglich durch visuelle Effekte verstärkt würde, was in den meisten Fällen auch ohne Weiteres passiert.

Letztlich sei es jedoch auch vom Genre abhängig, inwiefern Effekte vonnöten sind. In einem Western brauche man reale Waffen(attrappen), in Science-Fiction-Filmen gehe man eher zu einer stärkeren Bearbeitung von Waffen und Schüssen über, die dadurch glaubhaft für den Zuschauer werden.

Letztlich bleibt festzuhalten: In Deutschland ist es laut Rasch noch zu keinem vergleichbaren Unfall wie am "Rust"-Set gekommen. Aus tragischen Fehlern müsse man jedoch dennoch lernen. Denn nicht nur in Deutschland und im europäischen Ausland werde mit Waffen sorgsam umgegangen, auch in den USA sei man eigentlich sensibilisiert, das habe er in der Zusammenarbeit mit amerikanischen Schauspielern festgestellt.

Abschließend erklärt Rasch zu den noch ungeklärten Zusammenhängen, wie Baldwin eine scharfe Waffe abfeuern konnte: "Aus irgendeinem Grund ist etwas übersehen worden, es ist etwas nicht festgestellt worden. Und da muss nachgeforscht werden, was der wahre Grund dafür ist. Wir versuchen uns anhand von Erfahrungen ein Bild zusammenzusetzen, aber wir müssen abwarten, was wirklich dabei herauskommt und dann müssen wir das auswerten, damit das bei uns nicht passiert, bzw., dass es überhaupt nicht mehr passiert."

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