So schön sieht der Sommer nicht mal in der Eiskremwerbung aus. Kinder lassen sich aus aufgedrehten Hydranten mit Löschwasser beregnen, die Sonne scheint auf Süßwarenstände und bunte Häuserfronten, auf den Straßen tanzen sich schöne junge Menschen ihre Alltagssorgen aus dem Leib.
»In the Heights« heißt der in der dampfenden Hitze des New Yorker Stadtteils Washington Heights spielende Musikfilm aus der Werkstatt des Texters und Komponisten Lin-Manuel Miranda, der durch das Erfolgsmusical »Hamilton« weltberühmt geworden ist. Der Film, der nun in den deutschen Kinos anläuft, ist aber nicht nur ein prächtig gelauntes Tanzvergnügen, sondern er vibriert auch ein bisschen vor politischem Ehrgeiz.
Viele der Menschen im Stadtviertel, in dem der von Anthony Ramos gespielte Held mit dem ulkigen Namen Usnavi (sein Vater hat ihn nach einem Schiff mit der Aufschrift »U.S. Navy« benannt) einen kleinen Lebensmittelladen betreibt, haben Vorfahren in der Dominikanischen Republik oder anderen Ländern Mittel- und Lateinamerikas – und keine Papiere. Sie sind sogenannte Dreamers, die auf eine Aufenthaltsgenehmigung in den USA hoffen.
Die Politik des im Januar dieses Jahres abgetretenen US-Präsidenten Donald Trump wollte diese Hoffnung endgültig zunichtemachen. Und so rappen, singen und tanzen die Frauen und Männer in »In the Heights« explizit gegen die Abschottungsversuche einer Gesellschaft an, die illegal im Land lebende Migranten gern als billige Arbeitskräfte nutzt, aber ihnen die Chancen zum Aufstieg versagt. Wie es überhaupt eine eindrucksvolle Mischung aus Zorn, Liebesglut und New-York-Begeisterung ist, die den Film im Inneren antreibt, genauer: anfeuert.
Ein Hoch dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsgefühl!
Die Liebe des Ladenbesitzers Usnavi gehört der stolzen Vanessa (Melissa Barrera), die seine ungelenken Komplimente zwar mag, aber seinen Traum, in der Heimat der Vorväter eine karibische Strandbar zu eröffnen, für romantischen Quatsch hält. Vanessa selbst will lieber in New York als Modedesignerin groß herauskommen. »In the Heights« handelt keineswegs von Machtkonflikten innerhalb einer migrantisch geprägten New Yorker Neighborhood wie etwa Leonard Bernsteins und Stephen Sondheims »West Side Story« aus den Fünfzigerjahren, die der Regisseur Steven Spielberg Ende des Jahres in einer neuen Kinoversion präsentieren will. Lin-Manuel Mirandas Musical-Hommage an die Washington Heights ist die Beschwörung eines grandiosen nachbarschaftlichen Gemeinschaftsgefühls.
In der Sommerhitze im Norden Manhattans reden und träumen alle Heights-Bewohnerinnen und -Bewohner von ganz ähnlichen Wunschvisionen, die mit Reichtum, Glück und Anerkennung zu tun haben. Die zweite weibliche Hauptfigur des Musicals, die Studentin Nina (Leslie Grace), hat es dabei schon ziemlich weit gebracht und ist gerade von ihrem ersten Studienjahr in Princeton zurückgekehrt – nur leider wurde sie dort von weißen Rich Kids wegen ihrer Herkunft ausgegrenzt.
Überlebenskampfgeist und gute Laune
Tatsächlich handelt »In The Heights« aber gar nicht so sehr von den Hindernissen, die den Menschen den Weg zu einem lustigen, liebevollen und saturierten Miteinander verstellen, sondern von deren Überwindung durch tapferen Kampfgeist und gute Laune.
Das Musical ist lange vor »Hamilton« entstanden und wurde 2005 auf die Bühne gebracht – und es ist noch viel mehr als sein Vorgänger eine Feier der Chancen und Glückverheißungen, die Menschen aus aller Welt, egal ob zu Recht oder nicht, mit den USA verbinden.
Tanzszene aus »In The Heights«: Triumph über die Schwerkraft
Foto: Macall Polay / Warner Bros.Der Regisseur Jon M. Chu, der unter anderem mit dem Film »Crazy Rich Asians« einen Hit hatte, scheint in seiner »In the Heights«-Verfilmung immer dann mit besonderer Begeisterung am Werk zu sein, wenn er seine Protagonistinnen und Protagonisten in ihrem Redeeifer stoppen darf – und sie endlich wieder zum Rappen, Singen und Tanzen animieren kann.
Er lässt sie unter Aufhebung der Schwerkraft an Häuserfronten emporhüpfen und zu einer rührend herkunftsvernarrten Fahnenparade antreten. Natürlich handelt dieser Musicalfilm von Geldsorgen und Heimweh, Liebeskummer und sogar einem Strom-Blackout. Trotzdem lässt er nie einen Zweifel daran, dass er in einem Paradies spielt. Das liegt nicht an einem Strand in der Karibik, sondern auf einer Felseninsel im Hudson, die Manhattan genannt wird.
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