Rundet sich heute überhaupt noch ein „Ring“? Vermag ihn ein Inszenator noch allein zu schmieden? Stuttgart ging ja weltweise schon von 1999 an mit einem Regie-Quartett an den Start, Hannover zog später nach, Chemnitz überließ vier Frauen die Aufgabe.
Wiederum in Stuttgart startet in Kürze ein „Ring der Vielen“: Nach Stefan Kimmig für „Rheingold“ zeichnet allein in der „Walküre“ pro Akt ein Mastermind oder gar Kollektiv verantwortlich.
Inszenierungen von Wagners Tetralogie im Alleingang waren zuletzt in Paris (Calixto Bieito) und Bayreuth (Valentin Schwarz) geplant, beide wurden durch die Pandemie auf mindestens 2022 verschoben. An Berlins Deutscher Oper wurde nun inmitten der Corona-Monate, verspätet und um die chronologische Stückreihenfolge gebracht, ein neuer Nibelungen-„Ring“ geschmiedet.
Was besonders dadurch erschwert wurde, weil er die mythisch verklärte, mehr als 30 Jahre gespielte Götz-Friedrich-Produktion in Peter Sykoras immer noch gültig starkem Zeittunnel-Einheitsbühnenbild ersetzen musste.
Der hatte sein optisches Vorbild als Zufallsfund in den Bahnhöfen der U-Bahn in Washington. So hätte ja auch aktuell etwas Großes entstehen können aus einer kleinen Vorlage.
Doch der Friedrich-Schüler Stefan Herheim, als Norweger dem dortigen Sagenkreis nahe, zudem mit einer der besten, weil vielschichtigsten Bayreuther „Parsifal“-Produktionen in der Referenzenmappe, er konnte auch zum wüst bebuhten „Ring“-Finale die allzu hohe Latte nicht reißen.
Er bewegte sich noch nicht einmal auf Augenhöhe, er flutsche einfach so durch: enttäuschend schlicht, platt, meist aber vor allem konfus. Und weit unter seinem einmal erreichten Deutungsniveau.
Was sich schon bei der „Walküre“ als schwächstem Regieteil im vergangenen Herbst andeutete, beim, „Rheingold“ zum sommerlichen Spielzeitende fortsetzte, das bestätigte sich jetzt leider, als in naher Abfolge „Götterdämmerung“ und „Siegfried“ folgten, und alles jetzt endlich zum ersten Gesamtdurchlauf (zwei weitere sind bis Januar noch geplant) in der richtigen Reihenfolge zu erleben war.
Der „Ring“ als politische Parabel, als Sittenstück, als Verfall einer Dynastie, als Kapitalismuskritik, als Menetekel des imperialistischen 19. Jahrhunderts, als Märchenspiel, als Bayreuther Historie, Vorahnung des Nationalsozialismus gar, als buddhistische Saga, als Öko-Anklage – alles schon dagewesen. Was also hat uns Stefan Herheim zu erzählen?
Warum schauen die Flüchtlinge immer zu?
Eigentlich gar nichts über das hinaus, was sich Richard Wagner ziemlich klug und auch über 16 Stunden Spielzeit einigermaßen unterhaltsam, erhebend und bedrückend, bisweilen sogar lustig ausgedacht hat. Und auch wenn sich manches Bilderrätsel im nun szenisch schlüssigen Stückverlauf lösen mochte, sonderlich originell oder erhellend war es bei Herheim selten.
Weil auch Wagner einige Jahre seines Lebens politisch auf der Flucht war, beginnt alles mit Flüchtlingen, die ganz altmodisch mit Koffern reisen – woher und wohin? Man weiß es nicht.
Genauso wenig, warum diese Flüchtlinge an Schlüsselstellen immer wieder linkisch intimste Vorgänge der Protagonisten beobachten müssen, und das gern in altmodisch weißem Feinripp, mit Strumpfhaltern und Liebestötern, bevor sie sich zum Wegschauen peinsam selbst an die Wäsche gehen: Es gibt deshalb bei diesem „Ring“ entschieden zu viele Verbeugungen in Unterhosen.
Ach ja, sie alle, auch die seltsamerweise im Treck mitreisenden Licht- und Nachtalben, sie beginnen diese Parabel zu spielen: Alles armes Theater nur, mit billigen Tricks, aber nicht mal die funktionieren immer.
Daraus resultiert ein sich dunkel türmender Kofferberg mit unangenehm uneingelösten Auschwitz-Assoziationen als nicht eben spielfreundliches Einheitsbühnenbild; ewiges Blättern im Klavierauszug; dauerndes Präludieren an einem Flügel, aus dem gern das mythische Personal herauf- und herunterfährt; wogende Tücher in Klein und Groß für Projektionen, die oft etwas Kasperletheaterhaftes haben; so wie auch die gerne die Uraufführungszeit zitierenden Kostüme.
Und auch der blanke Kitsch regiert: etwa wenn die toten Siegfried-Eltern Sieglinde und Siegmund ihrem Sohn als Engel erscheinen.
Zu vieles erklärt sich gar nicht: Mime, hinreichend textdeutlich und großmächtig gesungen von Ya-Chung Huang, sieht aus wie Richard Wagner im KZ-Kittel. Wenn er stirbt, wischt er sich die Maske ab. Siglinde und Hunding haben ein behindertes Kind, das von ihr, der einzig Reinen in dem Ränkespiel, getötet wird.
Siegfried, ein dickes Kind im Bärenfell, großartig Hoffnung machend trompetet von Clay Hilley, erwürgt ebenfalls sein alter Ego, den von einem pfiffigen Sängerknaben (Sebastian Scherer) geflöteten Waldvogel. Und Wanderer Wotan (lässlich eindimensional: Iain Paterson) bricht einen „Siegfried“-Akt später seiner Ex-Geliebten Erda das Genick. Das wiederum hat die grandiose Judit Kutasi, aufgemacht wie eine Souffleusen-Oma aus den Sixties, nun wahrlich nicht verdient.
Warum sehen Alberich (auftrumpfend: Jordan Shanahan) und sein Sohn Hagen (eher gemütlich: Albert Pesendorfer) wie der Joker aus? Da verliert sich Herheim immer wieder in Halbheiten. Oder er trumpft musterschülerhaft auf: Ja, Drache Fafner (darf im Fatsuit noch nach dem Tod tanzen: Tobias Kehrer) ist die Tuba zugeordnet. Deswegen blinkt das Instrument aus dem Klavier hoch.
Funktioniert dieser „Ring“, dann ist es meist Wagner zu verdanken, hängt und klappert er inhaltlich, muss man das der oft hilflosen Regie anlasten. Nach den öden oder albernen ersten beiden Teilen, gefällt der scherzohafte „Siegfried“ in den ersten zwei Akten als rüpelhaft-rustikale Komödie, der dritte, wenn Siegfried die Frau (seine schnell perückenlose Tante) und die Liebe entdeckt, ist dann wieder zum Unterwäsche-Fremdschämen.
Noch schnell Siegfrieds Papp-Kopf abhacken
In der „Götterdämmerung“ sind wir endlich bei den Menschen, für die Gibichungenhalle ist Herheim freilich nichts Naheliegenderes eingefallen, als der Nachbau des Holzfoyers der Deutschen Oper samt Wolkenplastik als Projektionsfläche für Waldweben und Rheinwellen sowie West-Berliner Publikum als Zaungästen. Die dürfen viel herumstehen. Werden sie vom Chor verkörpert, stürmen sie durch den gern erleuchteten Zuschauerraum; wo auch Hagen zwischendurch Platz genommen hat.
Der schneidet zum Trauermarsch dem von ihm gemordeten Siegfried noch den Pappkopf ab, bevor die hörbar ihre letzte Brünnhilde wacker ansteuernde Nina Stimme wieder mal ein Tuch vorbeizieht. Als kommende Wunschmaid empfiehlt sich hingegen die herrlich voll tönende Okka von der Damerau als Waltraute. Singt sie vom Ende der Götter, darf im Hintergrund natürlich wieder Wotan stumm und nichts auflösend zwischen seiner germanisch behelmten Götterschar brüten.
Donald Runnicles hält sein formidables Orchester in den Schlusstücken zu einem vorantreibend dramatischen, passgenauen, weder pathetischen noch metaphysischen Wagner-Sound an. Das knistert, knackt, knallt und rundet sich pastos in den großen Instrumentalmomenten, ehrlich und immer direkt. Und zum Finale züngeln die Flüchtlinge ein letztes Mal als eurythmisch tanzende Flämmchen in Dessous ums Klavier, Brünnhilde legt sich drauf. Ab geht es in die Versenkung.
Das war es dann. Fast. Den Rest erledigt nicht Alberich, sondern eine Gebäudereinigungsfachkraft, die auch noch die letzten „Ring“-Rest vor der nächste Bühnenprobe professionell ernüchternd wegfeudelt. So billig, so banal.
Kann also heute noch ein Regisseur einen „Ring“ schmieden? Gegenwärtig versucht es zumindest auch Richard Jones an der English National Opera. Gerade ist seine Tetralogie mit der „Walküre“ gestartett. Sie wird 2025 an New Yorks Metropolitan Opera weiterwanderen.
Dorthin sollte eigentlich Stefan Herheims Berliner Deutung reisen. Aber da hat man, es verwundert nicht, sehr schnell abgewunken. Und auch an der Spree wird dieser allzu leichtgewichtigen Deutung sicher keine 30 Jahre Spielzeit gewährt werden.
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